Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Page und die Herzogin
Vom Netzwerk:
mit
jemandem verwandt sei, den ich kenne.» Er warf einen raschen Blick auf den
Pfarrer, doch de Beauprés Gesicht blieb unbewegt. «Mit jemandem, den ich
kenne, ja. Und auf diesen flüchtigen Eindruck hin handelte ich. Nun hat sich
dieser Eindruck erhärtet, mon père, doch ich habe keinen Beweis. Deshalb
kam ich zu Ihnen.»
    «Sie kommen
vergeblich, Monsieur! Es ist nicht festzustellen, ob Léonie eine Bonnard ist
oder nicht. Auch ich hatte meinen Verdacht und nahm mich deswegen der petite an und unterwies sie nach besten Kräften. Ich trachtete sie bei mir zu
behalten, als die Bonnards starben, aber Jean ließ es nicht zu. Sie sagen, daß
er sie mißhandelte? Hätte ich dies geahnt, würde ich mehr unternommen haben,
das Kind bei mir zu behalten. Aber ich ahnte es nicht. Ich hatte zwar nie
Zuneigung zu Jean gefaßt, doch in jenen Tagen war er recht nett zu la petite. Er versprach mir aus Paris zu schreiben, hielt aber sein Versprechen nicht,
und so verlor ich jede Spur von ihm. Nun scheint es, daß die Vorsehung Ihnen
Léonie zugeführt hat, und Sie haben denselben Verdacht wie ich.»
    Justin
stellte sein Weinglas nieder.
    «Was für
einen Verdacht, mon père?» Seine Stimme war drängend. De Beaupré stand
auf und ging zum Fenster.
    «Als ich
sah, wie schlank und zart sich der kindliche Körper auswuchs, als ich diese
blauen Augen, diese schwarzen Brauen sich dem flammenden Haar gesellen sah,
war ich verblüfft. Ich bin ein alter Mann, und dies ist nun fünfzehn oder mehr
Jahre her. Doch selbst damals war ich schon seit Jahren aus der Welt geschieden
und hatte seit meinen Jugendtagen niemanden mehr von dieser Welt gesehen. Wenige
Neuigkeiten dringen zu uns hierher, Monsieur; Sie werden mich für bemerkenswert
unwissend halten. Wie gesagt, ich sah Léonie heranwachsen, und mit jedem Tag sah ich
sie mehr und mehr einer Familie ähnlich werden, die ich kannte, bevor ich
Priester wurde. Es ist nicht leicht, einen Abkömmling der Saint-Vires zu
verkennen, M'sieur.» Er wandte sich um und blickte Avon ins Gesicht.
    Der Herzog
hatte sich in seinen Stuhl zurücksinken lassen. Kalt glitzerten seine Augen
unter den schweren Lidern.
    «Und obwohl
Sie dies dachten, obwohl Sie dies argwöhnten, mein Vater, ließen Sie sich
Léonie durch die Finger schlüpfen? Sie wußten noch dazu, daß die Bonnards aus
der Champagne kamen. Es steht zu vermuten, daß Sie sich der Lage des
Saint-Vireschen Landsitzes entsannen.»
    Der Pfarrer
blickte erstaunt und hochmütig auf ihn herab.
    «Ich vermag
Sie nicht zu verstehen, M'sieur. Freilich hielt ich Léonie für eine Tochter
Saint-Vires, doch was konnte ihr dies nützen? Wenn Madame Bonnard es ihr zur
Kenntnis zu bringen wünschte, hätte sie es ihr gesagt. Doch Bonnard selbst sah
das Kind als sein eigenes an. Es war besser, daß Léonie es nicht erfuhr.»
    Die
haselnußbraunen Augen öffneten sich weit.
    «Mon
père, ich glaube,
wir verfolgen verschiedene Ziele. Mit einem Wort: wofür halten Sie Léonie?»
    «Meine
Folgerung ist wohl naheliegend», erwiderte der Pfarrer errötend.
    Avon ließ
den Deckel der Schnupftabakdose laut zuklappen.
    «Wollen wir
es trotzdem in schlichten Worten ausdrücken, mein Vater: Sie hielten Léonie
für ein uneheliches Kind des Grafen Saint-Vire. Möglicherweise haben Sie die
Situation zwischen dem Grafen und seinem Bruder Armand in Betracht gezogen.»
    «Ich kenne
sie nicht.»
    «Die Sache
liegt auf der Hand, mon pre. Schenken, Sie mir ein Weilchen
Gehör. Als ich Léonie in jener Nacht in Paris fand, ging mir eine Menge durch
den Sinn. Die Ähnlichkeit mit Saint-Vire ist ins Auge springend, versichere ich
Ihnen. Anfangs dachte ich wie Sie. Dann stieg mir blitzartig die Erinnerung an
Saint-Vires Sohn auf, wie ich ihn bei unserem letzten Zusammentreffen gesehen
hatte. Ein grober Klotz, mein Vater. Ein plumper, untersetzter Bauerntölpel.
Ich entsann mich, daß von' jeher zwischen Saint-Vire und seinem Bruder
tödlicher Haß herrschte. Bemerken Sie bereits, worauf die Dinge hinauslaufen? Saint-Vires
Frau ist ein kränkliches Geschöpf; jederman wußte, daß er sie nur heiratete, um
Armand einen Tort anzutun. Achten Sie jetzt auf die Ironie des Schicksals. Drei
Jahre vergehen. Madame vermag ihrem Gatten nur ein totgeborenes Kind zu
schenken. Dann wird plötzlich wunderbarerweise in der Champagne ein Sohn
geboren. Ein Sohn, der jetzt neunzehn Jahre alt ist. Ich lege Ihnen nun ans
Herz, mein Vater, sich einen Augenblick lang an Saint-Vires Stelle zu

Weitere Kostenlose Bücher