Gepaeckschein 666
behandeln ihre Krawatten nicht wie Schnürsenkel!“
„Weißt du zufällig, wer diese Dinger erfunden hat?“ fragte Peter ausgesucht höflich.
„Leider nicht, wieso?“
„Ich würde dem Burschen gerne eine Sprengbombe unters Kopfkissen legen -“
„Papperlapapp“, sagte Frau Pfannroth und sah zur Markthalle hinüber. Da bog nämlich gerade die Straßenbahn um die Ecke.
Peter drängelte sich beim Einsteigen zwischen den Erwachsenen hindurch ganz nach vorne. So bekam er noch einen Sitzplatz, in Fahrtrichtung und am Fenster. Die Leute sahen ihn ziemlich böse an, und ein dicker Mann mit einer schwarzen Melone auf dem Kopf schimpfte sogar.
„Ein Benehmen wie die Axt im Walde.“
Aber da kam dann Mutter Pfannroth, war etwas außer Atem und sah sich um.
„Bitte sehr, meine Dame“, rief Peter, winkte mit der linken Hand und stand auf.
„Sehr freundlich, junger Mann“, dankte Frau Pfannroth und nahm Platz. „Es gibt doch noch Eltern, die ihre Kinder zur Höflichkeit erziehen.“
„Danke schön“, sagte Peter nur, und er sagte es ziemlich leise. Aber doch noch so laut, daß es der Dicke unter seiner schwarzen Melone hören konnte.
Am Dammtor stiegen die beiden Pfannroths aus. Arm in Arm gingen sie jetzt über die Lombardbrücke und dann an der Alster entlang.
„Sieh mal, die Möwen“, meinte Mutter Pfannroth und blinzelte in die Sonne.
Peter gab keine Antwort.
„Ein wirklich schönes Wetter“, fuhr Mutter Pfannroth nach einer Weile fort.
Aber Peter gab wieder keine Antwort.
„Lampenfieber, junger Mann?“
„Bis in den großen Zeh“, gab Peter zu und blieb stehen. Drüben auf der anderen Seite der breiten Asphaltstraße lag der riesige und schneeweiße Steinbau des „ATLANTIC „-Hotels, Stockwerk über Stockwerk, Fenster neben Fenster, und ganz oben auf dem Dach eine große Glaskugel mit der Aufschrift „ATLANTIC „. N achts war diese Kugel erleuchtet, und dann konnte man das „ATLANTIC“ bis zum Bahnhof hinüber lesen oder noch vom Jungfernstieg aus.
Die Verkehrsampel sprang gerade auf Grün. „Avanti“, sagte Mutter Pfannroth , und sie spazierten los.
Vor dem Haupteingang des Hotels ging ein ziemlich langer Kerl in einem roten Portiersmantel auf und ab. Er trug eine Schirmmütze und hatte zwei Reihen blanker Goldknöpfe auf der Vorderseite.
„Sie entschuldigen“, sagte Mutter Pfannroth.
„Zu Ihren Diensten, gnädige Frau“, antwortete der Rotmantel und lüftete seine Schirmmütze.
„Ich hätte eine Frage, Herr Portier“, meinte Mutter Pfannroth und knipste ihre Handtasche auf.
„Nur Wagenmeister, gnädige Frau. Wagenmeister Krause, wenn ich bitten darf.“
„Schönen Dank, Herr Krause“, sagte Frau Pfannroth und faltete jetzt das Zeitungsblatt mit der „ATLANTIC“-Annonce auseinander. „Wir wollten gerne zur Direktion.“
„Handelt es sich um eine Zimmerbestellung oder um irgendwelche Lieferungen? Für Hotelgäste ist hier der Haupteingang zuständig. Für Lieferanten und Vertreterbesuche, gleich rechts um die Ecke.“
„Weder — noch“, stellte Mutter Pfannroth fest. „Wir kommen hier wegen dieser Anzeige. Mein Junge möchte sich als Page bewerben, und hier steht, daß die Direktion täglich ab elf Uhr
„Gestatten Sie“, unterbrach jetzt der Wagenmeister Krause. „Ich muß Sie leider enttäuschen. Die neuen Pagen sind alle schon verpflichtet. Wenn sie freundlicherweise das Datum beachten wollen. Diese Zeitung ist bereits zwei Wochen alt!“
Wagenmeister Krause wies mit seinem Zeigefinger, der in einem Handschuh steckte, auf den Erscheinungstag am oberen Rand des Zeitungsblattes.
„Tatsächlich!“ japste Mutter Pfannroth.
„Es tut mir sehr leid“, bedauerte der Wagenmeister, der eigentlich ein sehr freundliches Gesicht hatte mit einem breiten Schnurrbart unter der Nase.
„Diese Sauerbier! Das sieht ihr ähnlich!“ ärgerte sich Mutter Pfannroth.
„Aber du kannst doch nicht verlangen, daß sie dir deinen Blumenkohl immer in die neuesten Zeitungen einpackt“, verteidigte Peter Frau Sauerbier.
„Nicht immer, aber wenigstens dieses Mal“, korrigierte sich Mutter Pfannroth.
In diesem Augenblick rollte ein breiter amerikanischer Wagen vor den Eingang. Wagenmeister Krause öffnete sofort die Tür und zog wieder einmal seine Schirmmütze. „Good morning! What can I do for you?“ fragte er sehr höflich.
Die hellblonde Dame, die am Steuer saß, sprach hinter der Windschutzscheibe eine Menge englischer Worte, der Wagenmeister schob seinen
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