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Gepeinigt

Titel: Gepeinigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theresa Saunders
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hätte, hätte er diese doch sicher in irgendeiner Form geäußert, oder? Ihr die Schuld für sein verkorkstes Leben gegeben.
    Sie drückte die Finger an die Schläfen, massierte abwesend ihre Stirn, ihren Nasenrücken, ihre Wangen und wieder ihre Schläfen. Waren ihre Fingerspitzen taub oder war es ihr Gesicht? Aber sie schweifte ab, hatte sich selbst aus dem Konzept gebracht. Sie setzte sich auf, griff zum Stift und zeichnete ein Flussdiagramm ihrer bisherigen Gedanken. Es endete dort, wo sie zuletzt stehen geblieben war: Warum sie und warum er? Abermals ließ sie den Kopf auf den Schreibtisch sinken.
    Warum er? Warum hatte er sie nicht vergewaltigt? War er nicht dazu in der Lage gewesen? Sicher, gewisse Dinge an ihm waren ihr weibisch erschienen – die Kabaret-Masche, die extravagante Haltung, mit der er auf seinem Hocker thronte. Ob er schwul war? Aber dann hätte er wahrscheinlich einen Mann oder Jungen entführt. Das wiederum würde bedeuten, dass er nicht speziell hinter ihr her gewesen war. Doch das glaubte sie mittlerweile nicht mehr.
    Mary konzentrierte sich. Er hatte gewusst, wer sie war. Also musste er eine Verbindung zu jemandem haben, der sie persönlich kannte oder gekannt hatte. Ob er angeheuert worden war? Das bezweifelte sie ebenfalls. Das Ganze war auf einer persönlichen Schiene abgelaufen. Aber wieso sollte jemand für jemand anderen eine Fremde entführen und seine persönliche Sex-Show daraus machen? Macht durch Osmose? Vergewaltigung durch Osmose? War das Ganze eine Vorstellung für jemand anderen gewesen? Für einen Liebhaber? Aber das ergab keinen Sinn.
    Doch, es ergab durchaus einen Sinn.

    Plötzlich fügten sich die Puzzleteile zu einem Bild zusammen.
    Er war entweder der Freund oder Liebhaber von jemandem, der einen Hass auf sie hatte. Jemanden, den sie hinter Gitter gebracht hatte. Und die beiden hatten eine intime Beziehung. Und ihr Entführer war bereit, die Tat selbst zu begehen, weil es für seinen Freund oder Liebhaber nicht möglich war. Weil er im Gefängnis saß. Sie waren Zellengenossen gewesen!
    Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, sie bekam kaum noch Luft. Langsam und zittrig holte sie Atem.
    Sie war ganz nahe dran, sie fühlte es. Jetzt konnte und würde sie den Bastard finden und zur Strecke bringen. Ohne zu überlegen, kritzelte sie vier Namen hin: Erik Chan, Bruce Johns, George Tsiolkas, Denis Gagnon. Sie hatte alle vier verhaftet und eine entscheidende Rolle bei ihrer Verurteilung gespielt. Und sie war von ihnen bedroht worden. Alle vier waren Psychopathen, auf die eine oder andere Weise emotional gestört. Sicher, es konnte falsch sein, nur die Erstbesten ins Auge zu fassen.
    Ihr Herz flatterte – aus Versagensangst? Aus Vorfreude auf die Jagd? Sie beschloss, mit diesen vier anzufangen und die Liste später auszuweiten. In ihren tauben Fingern begann es schmerzhaft zu kribbeln. Sie erhob sich und ging zum Computertisch, wo sie die Namen eingab. Alle vier saßen noch im Gefängnis. Ihr Herz geriet ins Stolpern. Konnte sie Recht haben?
    Instinktiv stieß sie ihren Stuhl zurück und griff nach dem Telefon, um Nick anzurufen. Schließlich hatte sie ihm versprochen, genau das zu tun. Er hatte ihr Rückendeckung gegeben, hatte sie gebeten, keine Alleingänge zu unternehmen, sich ins Team einzufügen. Und sie hatte ihm ihr Wort gegeben. Warum also zögerte sie?

    Das Aufheulen eines Industriestaubsaugers ließ sie zusammenzucken. Erbost und erschrocken wandte sie sich zu dem Lärm um und warf einen finsteren Blick in die Richtung, aus der er kam. Der Reinigungstrupp war da, und das schränkte ihre Möglichkeiten ein.
    Sie beschloss, nach Hause zu gehen und dort weiter über ihre Entdeckung nachzudenken. Sie sammelte ihre Sachen zusammen und machte sich auf den Weg. Sie vermied jedes Wort, ja jeden Blickkontakt. Einem Beobachter mochte ihr Verhalten nicht anders erscheinen als vor einer Woche. Innerlich jedoch war sie einer Panik nahe. Eilig ging sie zum Taxistand, was ihr wie eine Ewigkeit vorkam. Wie dumm von ihr, sich vorhin im Büro kein Taxi zu rufen. Aber sie hatte nicht vor dem Revier stehen wollen wie bestellt und nicht abgeholt.
    Es war ein schwüler, drückender Abend. Die Sterne versteckten sich hinter dicken, tiefen Wolken, die Straßenlampen warfen graue Flecken auf den Gehsteig. Die Nacht wirkte bedrohlich.
    Sie musste an ihre Kindheit denken, die

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