Gepeinigt
die Namen der Betreuer herauszufinden und mit ihnen zu reden.
In den nächsten vierzig Minuten herrschte im Dienstraum ein ständiges Kommen und Gehen. Sie arbeitete schweigend, den Kopf konzentriert über ihre Arbeit gebeugt. SchlieÃlich strich sie Michael Levisâ Namen durch. Konnte es einer der verbleibenden drei sein? Sie kehrte an den Computer zurück, vergröÃerte die beigefügten Fotos und druckte sie aus.
Ratternd und hustend spuckte der Drucker die Seiten aus. Mary ergriff sie, kaum dass sie aus dem Schacht kamen, und hielt sie so, dass man sie nicht sehen konnte. Sie wusste selbst, dass sie sich höchst verdächtig benahm, konnte aber nichts dagegen machen. Ihre Nerven flatterten. Sie holte ein paarmal tief Luft. Jeder im Raum behielt sie verstohlen im Auge und fragte sich, mit was sie sich wohl gerade beschäftigte. Nicks Stirnrunzeln verriet ihr, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte. Wenn er doch nur begreifen würde, wie erleichternd es für sie wäre, sich ihm anzuvertrauen! Seine Unterstützung
und Führung zu haben. Aber sie war in den frühen Morgenstunden zu dem Schluss gekommen, dass das nicht möglich war. Zumindest noch nicht. Warum nicht? Weil ihre Theorie keine greifbaren Beweise enthielt und auf reinem Instinkt beruhte. Und einen Fehlschlag konnte und durfte sie sich nicht leisten. Besser, erst mal einen Alleingang zu wagen.
Sie kehrte an ihren Schreibtisch zurück und ordnete einige Papiere, stapelte ein paar Akten, legte einiges hierhin, verschob anderes dorthin â ein zugegeben erbärmlicher Taschenspielertrick, der jedoch funktionierte. Am Ende hatte sie, was sie wollte: vier Blätter in einer Mappe, einen Stift und Toms Handy.
»Muss mal kurz pinkeln«, verkündete sie.
Köpfe senkten sich verlegen, nur Nicks kühler Blick folgte ihr.
DrauÃen angelangt lieà sie sich an die automatische Tür sinken, die protestierend zischte. Ihr Herz pochte schmerzhaft, ihre Finger waren taub, und ihr Kopf hämmerte. In der Toilette zog sie einige Papiertücher aus dem Handtuchhalter und schloss sich in einer Kabine ein. Sie klappte den Klodeckel herunter, setzte sich und prüfte, ob das Handy Empfang hatte. Dann sortierte sie ihre Unterlagen.
Als sie fertig war â die Papierhandtücher sorgfältig gefaltet, der Stift gezückt -, wählte sie die erste Nummer.
»Mrs Moloney? Mein Name ist Senior Constable Papas. Dürfte ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
»Er ist nicht da«, brummte die Frau am anderen Ende der Leitung.
»Das macht nichts, Mrs Moloney, ich wollte sowieso mit Ihnen sprechen.«
»Aber ich hab die Schnauze voll von diesen ewigen Fragen! Lassen Sie den Jungen doch einfach in Ruhe.«
»Woher wissen Sie, dass ich mit Ihnen über Simon reden will?«
Anstatt einer Antwort ertönte das Freizeichen. Mary wählte erneut. Wieder das Freizeichen. Die Frau hatte offenbar das Telefon ausgesteckt.
»ScheiÃe, ScheiÃe, ScheiÃe«, murmelte sie vor sich hin.
Der Nächste.
»Mr. Smith, mein Name ist Senior Constable Mary Papas. Einer Ihrer Mieter ist meines Wissens nach ein gewisser Jonathon Fry?«
»Bedaure, aber ich beantworte keine Fragen am Telefon. Wenn Sie etwas wissen wollen, müssen Sie sich schon persönlich herbemühen.«
»Mr. Smith«, sagte sie mit mehr Strenge und Nachdruck, »wir untersuchen einen Fall von Entführung und möglicher Vergewaltigung. Ich muss daher darauf bestehen, dass Sie uns einige Routinefragen beantworten.«
Freizeichen. Diesmal versuchte Mary gar nicht erst, noch mal anzurufen. »Fuck.«
Vielleicht hatte sie mit Kowaltzke ja mehr Glück. Aber dort ging niemand ran.
Was nun? Nick von ihrer Vermutung erzählen? Bis zum Abend warten und alle drei aufsuchen? Falls der Richtige dabei war, müsste sie schlieÃlich nur seine Stimme hören und wüsste Bescheid. Und dann könnte sie zu Nick gehen und einen Haftbefehl erwirken.
Sie grunzte, lehnte sich an den unbequemen Spülkasten und starrte einen Moment lang an die schimmelige Decke. Dann holte sie die Täterprofile aus der Mappe und blätterte die Fotos durch: eins, zwei, drei. Noch nie gesehen.
Sie schloss die Augen und legte die Hände aufs Gesicht, um sich vor dem grellen Licht zu schützen. Sie rief sich ihren
Entführer ins Gedächtnis, seine Gesichtsmaske, aber es wollte ihr nicht so recht gelingen. Stattdessen
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