Gerade noch ein Patt
war. Sogar die dritte Schwester, Asa, war irgendwann im Laufe der Nacht angekommen. Sie stand bei ihren Schwestern und weinte während der ganzen Zeremonie, und die drei sahen in ihrer schwarzen Beerdigungskluft wie schluchzende Krähen aus. Geringfügige Unterschiede in ihrer Kleidung ermöglichte es ihm, sie auseinanderzuhalten, aber Tom konnte der richtigen Frau immer noch nicht den richtigen Namen zuordnen, was er bewies, als sich die Menge zerstreute. Nach der Beerdigungszeremonie auf dem Friedhof war ein Leichenschmaus geplant, aber Tom hatte Genifers Sicherheitsbefürchtungen ausgenutzt, um sie zu überreden, nicht daran teilzunehmen. Sie hatten ihre Pflicht erfüllt.
»Andy war ein guter Junge«, sagte Shayla anstelle einer Abschiedsfloskel.
Tom nahm an, daß sie wohl recht hatte. Er hatte praktisch keine Erinnerung mehr an den Jimgen. Das, was ihm noch geläufig war, paßte zu der lobenden Beschreibung des Pfarrers eines aufgeweckten und eifrigen Jungen, der wohl etwas von einem Langweiler an sich gehabt hatte. Gar nicht so übel, vermutete Tom. Er war selbst einmal jung und nervtötend gewesen. Und letzten Endes konnte man Andy nicht die Schuld für die Sünden seines Vaters geben. Tom konnte das ganz gewiß nicht. Den Sohn für die Verfehlungen des Vaters verantwortlich zu machen, war eine Haltung, die Tom sich nicht leisten konnte. Wenn überhaupt, dann steckte in Andy weniger von Matthew Walker als in Tom.
Genifer sagte nicht viel auf der Heimfahrt, aber nicht deshalb, weil sie sich über seine beharrliche Weigerung ärgerte, an der Feier teilzunehmen. Sie war einfach in nachdenklicher Stimmung. Tom war ebenfalls still. Es kam ihm richtig vor. Als sie wieder im Haus ihrer Großeltern waren, verkündete sie, sie hätte Millionen Dinge zu erledigen, und verschwand zum Telekom, um sich darum zu kümmern.
Nun, da die Morgenverpflichtung erfüllt war, nutzte Tom den Rest des Tages, um nach Herzenslust zu faulenzen. Er verbrachte die Zeit in der Horizontalen oder sah sich gedankenverloren an, was das Kabel zu bieten hatte. Er mied sorgfältig alles, was nach Nachrichten oder Kommentar roch. Großmutters Abendessen war eine Übung im Überfressen. Da sie die meisten Lieblingsgerichte seiner Kindheit gekocht hatte, mußte er von allem zweimal nehmen. Nach dem Abendessen half er dem General dabei, seine Waffensammlung zu reinigen und zu ölen. Jene ehrwürdigen Waffen waren die ersten, die Tom je hatte anfassen dürfen, und sie zu reinigen war zwischen ihm und seinem Großvater schon vor langer Zeit zu einem Ritual geworden. Sie saßen zusammen und arbeiteten, und der Geruch nach gut geöltem Stahl und altem Schießpulver drang ihm in die Nase und ließ ihn unwillkürlich an alte, einfachere Zeiten denken. Die Ruhe, die Teil jener Reinigungssitzungen gewesen war, überkam ihn auch jetzt wieder.
Als das letzte Gewehr weggestellt, das Öl eingepackt, die Putzlappen weggeworfen und der Schrank verschlossen war, sagte der General: »Weißt du, ich habe ein paar Anrufe für Genifer gemacht.«
»Das würde ich dir nie vorhalten. Ich weiß, wie sie sein kann.«
»Das habe ich nicht gemeint, Tom.« Auf der Stirn des Generals stand ein besorgtes Stirnrunzeln. »Bei diesen Anrufen habe ich auch mit ein paar alten Kameraden geredet. Aus fast allem, was sie gesagt haben, glaube ich einen Unterton herausgehört zu haben. Ich habe das Gefühl, daß eine Menge Unruhe im Offizierskorps herrscht. Viel mehr als zur Zeit meiner Pensionierimg. Jetzt bist du der Mann im Feld. Spürst du etwas von dieser Strömung?«
»Ich war noch ein Grünschnabel, als du ausgemustert wurdest, also kann ich keinen Vergleich anstellen, aber ich muß sagen, daß du recht hast - es gibt viele Unzufriedene in Uniform. Es gibt einen Haufen Leute, die nicht viel Respekt vor unserem Oberkommandierenden haben.«
»Wäre nicht das erste Mal.«
»Vielleicht nicht. Aber ich habe ein paar Leute davon reden hören, daß sie seinen Befehlen nicht folgen würden, wenn er sie gäbe. Das ist ernst.«
»Aber ist es ihnen ernst genug, um etwas deswegen zu unternehmen?«
»Schwer zu sagen. Ich glaube, einigen schon.«
»Hat sich jemand mit dir darüber unterhalten?«
»Nicht direkt, obwohl mir schon einige hypothetische Fragen untergekommen sind.«
»Und?«
»Und ich hoffe, daß sie mir meine Antworten, oder vielmehr das Ausbleiben derselben, nicht übelgenommen haben. Politik ist nicht Sache des Soldaten, auch wenn man im Dienst in begrenztem Ausmaß
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