Geraeuschkiller - Mutige Liebe
Brombeerranken beiseite und folgte der Spur.
Zweige schnellten vor ihrem Gesicht zurück, Dornen zerkratzten ihre Arme,
ritzten die Haut blutig. Dass ihre Schritte kein Geräusch machten, dass kein
Zweig knackte machte sie fast verrückt.
Sie
stolperte und fiel bäuchlings ins Unterholz. Sie war über Mauersteine gestürzt,
die sich unter dem Gestrüpp verbargen, vielleicht Reste vom alten Schloss.
Brennnesseln streiften ihre nackten Arme.
»Verdammt!«,
zischte sie und rieb den Arm, wo sich Streifen mit roten Quaddeln bildeten.
Immer
tiefer und tiefer führte die Spur in die Wildnis hinein. Die Stille ließ sie
das Gefühl für die Zeit verlieren.
Plötzlich
versperrte eine Wand den Blick, morsches Gemäuer, von dem der Putz bröckelte.
»Ein Haus«,
flüsterte sie.
Sie schlich
sich vorsichtig näher. Schwarzgraue Wände, fahlgrüne Fensterläden. Auf dem
verwitterten Schindeldach wuchsen dicke Grasbüschel, und um das Dach herum bemerkte
sie das seltsame Flirren, das sie von ihrem Späherast aus gesehen hatte.
»Das ist
es!« Clara duckte sich in die Büsche und kroch auf allen Vieren näher.
Dass ihre
Arme brannten und die Brombeerdornen sie zerkratzten, war ihr egal. Sie
krabbelte an der Wand entlang bis zu einem Fenster und stellte sich auf die
Zehenspitzen, um durch die Scheiben zu spähen.
Es war
nichts zu sehen. Nur staubige Fensterscheiben mit einem Sprung im Glas, dicke
Spinnweben, dahinter ein vergammelter schwarzer Vorhang. Das war alles. Sie
duckte sich und kroch zum nächsten Fenster. Wieder nichts. Das Haus schien
unbewohnt zu sein.
Aber
irgendwer muss hier sein, sonst gäbe es doch nicht die Spur im Dickicht, dachte
sie und krabbelte zum nächsten Fenster. Es lag etwas höher als die anderen.
Auch auf Zehenspitzen gelang es ihr nicht hineinzusehen. Sie fand einen großen
Stein, rollte ihn an die Hauswand und balancierte sich auf ihm hoch. Jetzt
konnte sie durch das Fenster schauen.
War da
jemand?
Sie reckte
sich noch ein bisschen.
Die dicke
Staubschicht auf der Fensterscheibe war teilweise weggewischt. Sie sah ein
Zimmer, in dessen Mitte ein mächtiger Tisch stand. Raumhohe Regale aus dunklem
Holz säumten die Wände. In den Regalen glitzerte und gleißte es. Wie von ... weißen
Diamanten! Ein Diebesnest, fuhr es ihr durch den Kopf.
Gerade ging
die Zimmertür auf. Ein Mann betrat den Raum. Ein langer magerer Kerl mit
struppigem blondem Bart. Er setzte sich an den Tisch. Die Staubschicht auf den
Fensterscheiben verbarg, was weiter geschah.
Clara
reckte sich, um mehr sehen zu können. Da gab der Stein unter ihren Füssen nach.
Sie plumpste ins Gras.
Zum Glück
gab es kein Geräusch dabei, aber sie stieß vor Schreck einen kleinen Schrei
aus. Schnell hielt sie die Hand vor den Mund. Hatte der Mann sie gehört? Sie
starrte zum Fenster hinauf.
Es dauerte
keine drei Sekunden, da erschien auch schon eine Männerhand am Fenstergriff.
Eine sehnige, blond behaarte Hand. Das Fenster ging auf.
Clara hielt
den Atem an.
»Was machst
du da?«, fragte der Mann scharf. »Spionierst du hier herum?«
Sie brachte
keinen Ton heraus.
»Na
warte!«, sagte er und schloss das Fenster.
Clara
wollte weglaufen. Aber sie war wie gelähmt.
Da stand er
plötzlich vor ihr, bückte sich und packte sie hart am Handgelenk.
»Du kommst
jetzt mit.«
Clara
machte sich ganz schwer. Keinen Zentimeter wollte sie sich von dem Mann bewegen
lassen.
»Hab dich
nicht so!« Er umklammerte das Mädchen, das mit Händen und Füssen um sich
schlug, und zerrte es ins Haus.
»Es hilft
nichts, wenn du kratzt und beißt!«
Goldmund
Im Haus war
es dämmrig. Es roch nach Moder und Pfeifentabak. Clara hörte auf zu strampeln,
denn kaum fiel die Tür hinter dem Mann ins Schloss hörte sie die Holzdielen
unter seinen Schritten knarren. Mit einer Hand drehte er den Schlüssel um. Der
Schlüssel ächzte im Schloss! Sie traute ihren Ohren nicht!
Der Mann
trug sie durch einen Korridor, stieß mit dem Fuß polternd eine große schwarze
Tür auf und ließ sie zu Boden gleiten. Clara schrak zusammen, als die Tür
knarrend hinter ihnen ins Schloss fiel.
Sie schaute
sich verstohlen um. Mächtige Regalwände aus dunklem Holz verkleideten das alte
Gewölbe. Das muss die Bibliothek des Fürsten gewesen sein, von der der Mann im
Park erzählte, dachte sie. Aber in den Regalen stand kein ein einziges Buch,
stattdessen glitzerten dort in der Mittagssonne, die durch die verdreckten
Fensterscheiben herein drang, unzählige weiße Diamanten.
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