Geraeuschkiller - Mutige Liebe
Es mochten Hunderte,
Tausende sein. Sie war wirklich in eine Räuberhöhle geraten! Und in was für
eine!
Alles hier
erstickte unter einer dicken Staubschicht, nur die Diamanten hatte jemand
blitzblank poliert. Jetzt erst bemerkte sie, dass die Diamanten ungewöhnlich
groß waren – mindestens so groß wie Herzkirschen! Auch auf den wuchtigen
Fensterlaibungen und auf dem mächtigen Tisch, der mitten im Zimmer stand,
gleißten weiße Diamanten.
»Was mache
ich jetzt mit dir, kleine Wildkatze?« sagte der Mann.
Clara sah
ihn zum ersten Mal voll an. Ein hagerer, knochiger Kerl mit bleichen Wangen.
Unter dichten Brauen stechende steingraue Augen, auffallend große Pupillen.
Sein fahles Gesicht wirkte maskenhaft erstarrt. Clara wurde es kalt unter
seinem Blick.
Jetzt
erinnerte sie sich! Das war der Mann, der plötzlich am Dorfweiher aufgetaucht
war, der ekelhafte Typ mit dem schwarzen Koffer. Es überraschte sie, dass er
aus der Nähe kaum älter aussah als ihr Cousin, der gerade Medizin studierte.
Er nahm
seine Pfeife vom Tisch und stopfte langsam Tabak in den Pfeifenkopf. Clara
hörte das Rascheln der Tabakblätter. Der Mann entzündete ein Streichholz. Die
Flamme zischte auf!
»Du hast
mein Haus gefunden.« sagte er. »Weißt du, was das bedeutet?« Seine Mundwinkel
zogen sich in einer bitteren Linie nach unten. »Wer dieses Haus betritt, wird
es nie mehr verlassen.«
Clara
schnürte es die Kehle zu.
»Wie heißt
du überhaupt?«
Clara
antwortete nicht.
»Na so was
– die menschliche Stimme habe ich doch noch verschont.« Er grinste. »Bist du
stumm?«
Sie
schüttelte den Kopf und hauchte: »Clara.«
»Was?«
»Ich heiße
Clara.«
Der Mann
sog an der Pfeife. »Soso –Clara heißt du … Und was suchst du hier auf meinem
Grund?«
Er setzte
sich an den Tisch und schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. Clara
stutzte. Die Diamanten auf dem Tisch erzitterten, als wären sie aus ... Wasser!
Oder bildete sie sich das ein?
»Dich muss
man wohl alles doppelt und dreifach fragen! Bist du schwerhörig, oder was? «
Sie kaute
auf ihrer Unterlippe und blieb stumm.
»Na dann
werde ich mich auch mal vorstellen, kleine Lady. Ich heiße Dragu.«, sagte er
spöttisch.
Der
Holzstuhl knarrte unter seinem Gewicht, und Clara vernahm ein feines Klirren.
Sie sah genauerhin: Es kam von seinen Füssen. Er hatte Sporen an seinen
Stiefeln.
»Wieso ist
dein Haus voller Geräusche, wo doch sonst alles still ist?«, wagte sie zu
fragen.
»Das
würdest du gerne wissen, was?«
Er musterte
das Mädchen, das angstvoll vor ihm stand, in einem verschwitzten und
verdreckten T-Shirt mit großen aufgedruckten Mohnblumen. Das Haar zerzaust,
voller Gras- und Brennnesselsamen, die Jeans aufgerissen und voll Erde. Die
Arme und Hände waren zerkratzt von den Brombeerranken und überzogen mit roten
Quaddeln. Auch im Gesicht hatten die Brennnesseln sie gestreift. In ihren Augen
mischte sich Furcht mit Mut und Eigensinn.
»Was hat
dich hierher getrieben?«
Clara kniff
die Lippen zusammen.
»Es ist
besser, du redest, sonst bringe ich dich mit Gewalt dazu, und das wird wehtun.«
»Ich habe …
jemanden gesucht«, flüsterte sie.
»Kannst du
nicht lauter reden?«, fuhr er sie an. »Gesucht hast du jemanden? Darf ich
fragen, für wen du dich durchs Gestrüpp kämpfst?«
Sie
hauchte: »Ich … mein Freund …« Sie stockte. Niemals würde sie diesem Ekel mehr
verraten.
»Für einen
Freund?« Er wandte die Augen nicht von ihr ab. »So eine bist du! Gehst für
einen Freund durch Dick und Dünn.«
Sein Blick
wanderte von den Diamanten auf dem Tisch zu Clara und wieder zu den Diamanten.
Er schien etwas auszuhecken. Unvermittelt gab er sich einen Ruck.
»Ich kenne
dich. Du bist die Geräuschkünstlerin aus dem Dorf.«
Auch er
erinnerte sich also an sie! Jetzt wandte er sich ihr voll zu. »Ich werde dir
etwas zeigen.«
Er nahm
einen Diamant zwischen Mittelfinger und Daumen und legte ihn genau vor sich auf
den Tisch. Es machte nicht klack , wie sie es von einem Diamant erwartet
hätte, sondern plitsch , als er auf der Tischplatte aufkam - wie ein
Wassertropfen.
Der
Mann drehte das rätselhafte Ding behutsam zwischen Daumen und Mittelfinger. Mit
einem Mal blitzten silbrige Wellen in seinem Inneren auf .
Augenblicklich
zwitscherten Amseln in der Bibliothek, der Wind wisperte im hohen Gras, eine
Armlänge von ihr entfernt schnurrte eine Katze. Clara kam es so vor, als
brauchte sie nur die Hand auszustrecken, um ihr Fell zu berühren.
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