Geraeuschkiller - Mutige Liebe
Bibliothek von der märchenhaften Musik erfüllt. Von überall her schien sie
aus dem Gemäuer zu dringen. Und doch kam sie aus dem Smaragdtropfen. Glasklare
Klänge von einem Saiteninstrument.
Clara
konnte nicht anders, sie musste tanzen. Sie breitete die Arme aus, schloss die
Augen und drehte sich zu der Melodie, und vergaß alles um sich her, ihre Angst,
ihre Traurigkeit – und die schreckliche Stille draußen. Sie fühlte nur die
Musik.
Mit einem
Mal hörte sie noch etwas. Als ob dicht neben ihr jemand atmete. Als ob ein
Kleid raschelte. Als ob Finger über Saiten glitten. Plötzlich lachte
glockenhell ein Mädchen, eine Handbreit von Clara entfernt. Sie wich zur Seite
und öffnete die Augen– aber da war niemand. Und doch hörte sie das Lachen so
nah, dass sie glaubte, das Mädchen stehe neben ihr.
Aber drüben
am Tisch saß nur Dragu. Blass und mit geschlossenen Augen saß er am Tisch, seine
Finger umfingen das grüne Smaragg.
Plötzlich
war noch jemand im Raum.
Clara hörte
Schritte. Schritte auf Kies, die zur Musik tanzten, begleitet von einem feinen
metallischen Klirren.
Die
geisterhaften Schritte umkreisten Clara. Enger und enger zogen sie den Kreis um
sie. Es schnürte ihr die Kehle zusammen.
,Jetzt
begann jemand zu summen. Dort wo die Schritte tanzten. Es war die Stimme eines
Jungen! Immer näher und noch kam er. Clara glaubte förmlich den Luftzug zu
spüren, der von ihm ausging, so nah war er. Aber sie sah ihn nicht. Gänsehaut
lief ihr in Schauern über den Rücken. Pedro? Nein Pedros Stimme war das nicht.
Ein
Schlussakkord - und die Musik verstummte.
»Spiel
weiter, spiel weiter!«, sagte der Junge.
»Nur wenn
du mich küsst!«, lachte das Mädchen dicht neben Clara.
Ein Schmatz
und noch ein Schmatz – das klang nach dicken Küssen auf die Wangen. Dann eine
neue Melodie, inniger, liebevoller als die vorherige, und die Schritte, und das
metallische Klirren bewegten sich zu ihr im Takt.
Da quietschte
ein Gartentor in den Angeln. »Hört auf mit dem Krach!« schrie ein Mann. Clara
schrak zusammen. Sie durchbohrte die Stelle, von der die Stimme kam, mit ihren
Blicken. Aber da war niemand. Jetzt knirschten schwerfällige Schritte auf Kies.
Der Mann kam auf sie zu!
Schlagartig
brach die Musik ab.
»Aber wir
…«, sagte der Junge neben ihr.
»Widersprich
nicht!«, fuhr ihn der Mann an.
»Wir machen
nur …!« Mehr konnte der Junge nicht sagen. Ein scharfes pfeifendes Klatschen
unterbrach ihn. Er stöhnte auf.
»Und du …
du nichtsnutziges Gör, Schluss mit dem Gedudel! Troll dich nach Hause mit
deiner dämlichen Fiedel!«, sagte der Mann. »Ich will dich hier nicht mehr
sehen. Kapiert? Schaff mir das Balg aus dem Haus, Junge, aber schnell!«
Eine
Haustür knallte zu, so laut, dass Clara zusammenfuhr und nach der
Bibliothekstür schaute. Aber das Türknallen kam aus dem grünen Smaragg.
Töne wie
Dolchstiche zerschnitten die Luft, glasklare Klänge von einem Saiteninstrument.
Mit einem
Mal erfüllte ein unheimliches Grollen die Bibliothek. Nie zuvor hatte Clara so
etwas gehört. Ein Beben tief in der Erde schien es zu sein. Es schwoll an,
breitete sich aus, vibrierte im Tisch, in den Regalen weiter. Als würde ein
Erdbeben die Bibliothek erschüttern. Mit ungeheuerer Macht drückte es sich
gegen die Mauern, als wollte es alles niederreißen.
Clara
glaubte, den Boden unter ihren Füßen beben zu spüren. Sie spreizte die Beine,
um einen sicheren Stand zu haben.
Und dann
hörte sie noch etwas. Etwas, wie den Klagelaut eines Menschen. Nur für den
Bruchteil eines Augenblicks. Oder täuschte sie sich?
Voller
Entsetzen starrte sie auf den Boden. Mein Gott, gleich wird die Erde aufreißen
und alles wird einstürzen!
Doch nichts
bewegte sich.
Nichts.
Es war nur
der Klang eines gewaltigen Bebens.
Dragu
zitterte am ganzen Körper. Mit einem Ruck ließ er das Smaragg los.
Augenblicklich verstummte das Grollen. Die violetten Wirbel im Smaragdtropfen
erloschen.
»Was …
passiert da?«, flüsterte er. Sie sahen sich verstört an. Eine Weile herrschte
Stille.
Dass auch
Dragu überwältigt war von dem, was sie gerade erlebt hatten, wunderte Clara.
Kannte er das Geheimnis des Smaragg mit dem roten Siegel nicht? Er wirkte
aufgewühlt, stand auf, machte ein paar Schritte, setzte sich wieder und zwang
sich zur Ruhe.
»Clara «,
sagte er. »Es ist so weit.«
Sie
zögerte. »Da … da ist ein … Garten.«
»Erinnere
dich genau!«, sagte Dragu scharf. »War da nicht zuerst Musik?«
Oh
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