Geraubte Erinnerung
Badezimmer, um zu duschen. Ich merkte, dass ich sie beobachtete, bis die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte. Ihre zwanglose Haltung vom Vortag nach den Wochen, in denen ich sie nur in der Praxis und im Kostüm gesehen hatte, waren verblüffend genug gewesen, doch der Anblick, wie sie ohne Scham nur in Unterwäsche vor mir herging, veränderte meine Wahrnehmung einmal mehr. Rachels Körper war geschmeidig und muskulös auf eine Weise, die nur regelmäßige, schweißtreibende Übung aufrechtzuerhalten vermochte. Es passte überhaupt nicht zu meinem Bild von ihr als akademisch gebildeter Ärztin – obendrein eine der besten ihres Fachs –, doch vielleicht passte es zu ihren obsessiv-kompulsiven Neigungen.
Ich ging in den Truck, um unsere Straßenkleidung zu holen, kaufte eine Washington Post sowie zwei Flaschen Dasani aus dem Automaten auf dem Parkplatz und kehrte damit in unser Zimmer zurück.
Aus dem Spalt unter der Badezimmertür kamen kleine Dampfwölkchen. Ich wechselte in meine normale Kleidung, warf mich aufs Bett, lehnte mich ans Kopfende und schaltete CNN ein. Es gab keine Berichte über flüchtige Verbrecher oder eineFahndung nach uns; deshalb nahm ich die Post und begann darin zu lesen.
Während der achtstündigen Fahrt von Tennessee hierher hatten wir angefangen, erste Vorbereitungen für den Trip nach Israel zu treffen. Auf einem Parkplatz in der Nähe von Roanoke hatten wir angehalten, und Rachel hatte ihren ersten Anruf getätigt. Eine frühere Patientin aus ihrer New Yorker Zeit hatte ihr eine Kontaktnummer in Washington D. C. gegeben und ihr gesagt, sie solle eine Stunde warten, bevor sie dort anrief. Während dieser Stunde würde sich jemand mit dieser Person in Verbindung setzen und für Rachel bürgen.
Den zweiten Anruf hatte Rachel von Lexington in Virginia aus geführt. Dort hatte sie Instruktionen erhalten, um elf Uhr am folgenden Tag im Au Bon Pain Café in der Union Station von Washington zu erscheinen. Außerdem sollte sie die Namen und Geburtsdaten sowie Passfotos der beteiligten »Freunde« bereithalten. Sie sollte die Fotos zusammen mit den Karten, auf denen die Namen, Daten und unveränderlichen Kennzeichen der »Freunde« aufgeschrieben waren, der Person im Au Bon Pain Café übergeben. Als Rachel fragte, wie lange es dauern würde, das Verlangte zu erhalten, hatte ihre Quelle mitgeteilt, dass die übliche Wartezeit achtundvierzig Stunden betrüge.
Zwischen Lexington und der Interstate 66 wurde uns bewusst, dass wir ein weiteres Problem hatten. Kreditkarten. Es würde Misstrauen erwecken, wenn wir die Flugscheine nach Israel mit Bargeld bezahlten, genauso wie die Tatsache, dass wir keine Hotelreservierungen vorzuweisen hatten. Wir würden Freunde oder Verwandte bitten müssen, die Reservierungen für uns vorzunehmen und ihre legitimen Kreditkarten zu benutzen. Meine Eltern und mein Bruder waren tot, und meine Freunde wurden ohne Zweifel ausnahmslos von der NSA überwacht. Für Rachels Eltern, Ex-Mann und Freunde galt das Gleiche. Letzten Endes wählte sie einen Arzt, mit dem sie sich einmal fast eingelassen hätte, als sie noch an der Columbia gewesen war. Er war Jude, reiste häufig nach Israel und war ihr auf dasInnigste verbunden. Ich dachte, ihre Bitte, eine Flug- und Hotelreservierung unter Namen vorzunehmen, die er nicht kannte, würden den Mann vielleicht misstrauisch machen, doch Rachel versicherte mir, dass er alles für sie tun würde, worum sie ihn bat. Sie versuchte dreimal, ihn zu erreichen, bevor wir in D. C. eintrafen, doch sie hatte kein Glück. Der Telefonservice weigerte sich, seine Mobilnummer herauszurücken, und Rachel konnte keine Nummer hinterlassen, unter der er hätte zurückrufen können.
Die Badezimmertür öffnete sich in einer Dampfwolke, und Rachel kam mit einem großen Badetuch um den Leib hervor. Ein zweites Handtuch hatte sie sich um den Kopf geschlungen.
»Es ist noch heißes Wasser übrig. Und ein Handtuch. Sie sollten ebenfalls duschen. Ich fühle mich wieder wie ein Mensch.«
»Wir müssen noch einmal versuchen, Ihren Freund anzurufen. Ich habe Ihnen Ihre Sachen mitgebracht. Sie sind ziemlich schmutzig geworden.«
Sie lächelte müde. »Ich würde tausend Dollar für meine Flanellpyjamas geben.«
»Wir kaufen morgen ein paar neue Sachen. Oder heute Abend schon, wenn Sie darauf bestehen. Nachdem wir diesen Anruf erledigt haben.«
Ihre Schultern sanken herab. »Können wir uns nicht einfach eine Weile hinlegen und schlafen?«
»Wir
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