Geraubte Erinnerung
Anstrengung es Rachel kostete, nicht in Panik auszubrechen.
»Wir kommen nicht unerkannt raus, oder?«, fragte sie.
Ich blickte erneut über die Brüstung nach unten. Der Cop schien zu überlegen, ob er nach oben oder nach unten gehen sollte. »Sie scheinen eine Art Terroristenalarm ausgelöst zu haben. Das ist die einzige Möglichkeit, wie sie den Bahnhof evakuieren können. Wahrscheinlich ist das Gebäude inzwischen von Hunderten von Cops umzingelt.«
Rachel blickte sich suchend auf dem Halbgeschoss um. Trauben von Menschen kamen uns eilig entgegen. Wir traten von der Treppe weg und ließen sie passieren.
Der Cop unten entfernte sich wieder von der Treppe. Er ging zum Fahrkartenbereich, während er erneut in sein Kragenmikro sprach.
»Wir haben zwei Möglichkeiten«, sagte ich. »Entweder wir verändern unser Aussehen und versuchen, unerkannt mit der Menge nach draußen zu entkommen.«
»Wie sollen wir unser Aussehen verändern?«
»Beispielsweise, indem wir in einen Laden gehen und uns schwarze Sachen kaufen. Oder wir schneiden dir die Haare ab und frisieren meine mit Gel. Wir versuchen, zehn Jahre jünger auszusehen.«
Rachel sah nicht überzeugt aus. »Damit hätten wir dann am Flughafen Probleme. Wir würden nicht mehr aussehen wie auf den Passbildern.«
»Du hast Recht. Dann bleibt uns nur noch die zweite Möglichkeit. Wir gehen in den hinteren Teil eines großen Ladens und verstecken uns dort in großen leeren Kisten, bis die Suche nach uns wieder eingestellt wird. Ganz einfach.«
»Ganz einfach? Du bist gut.«
»Allerdings könnte die Polizei Hunde für die Suche einsetzen.«
»O Gott!«
»Komm, weiter!«, sagte ich, als mir plötzlich einfiel, was zu tun war.
Ich rannte die geschwungene Treppe hinunter, während ich nach Polizeiuniformen suchte. Auf unserem Weg nach drinnen hatte ich eine Kinomarkise gesehen, und nach dem Grundriss der Station zu urteilen, befand es sich auf der unteren Ebene. Die Treppe endete in einem Außenrestaurant voller Menschen, die hastig und mit besorgten Mienen ihre Mahlzeiten herunterschlangen. Durch ein Gewirr von orangefarbenen und gelben Stühlen hindurch sah ich eine Traube von Kinobesuchern, die aus den Türen des Kinos strömten.
»Wohin gehen wir?«, fragte Rachel.
»Ins Kino.«
»Aber das wird evakuiert!«
Während wir uns dem Eingang näherten, öffnete sich vielleicht zehn Meter vor uns eine Sektion in der Wand, und ein verängstigt dreinblickendes junges Paar kam heraus, blinzelnd von der plötzlichen Helligkeit. Bevor die Tür sich wieder schließen konnte, sprang ich vor und blockierte sie mit dem Fuß.
Die Beleuchtung im Saal brannte, doch die Sitze waren leer. Ein Stück die Schräge hinauf stand ein Mann in einem Sportjackett und führte die letzten Besucher durch den Mittelgang nach draußen zum Hauptausgang. Zu meiner Rechten spazierte ein drei Meter großer Hugh Grant, die Hände in den Taschen,niedergeschlagen durch eine Londoner Straße. Rachel lehnte sich an meinen Rücken.
»Was ist hier drin?«, fragte sie leise.
Ich zog die Tür weit genug auf, dass wir beide hindurchschlüpfen konnten; dann hob ich den Saum des schweren roten Vorhangs, der vor der Wand hing, und ließ ihn über uns fallen. Wir drückten uns gegen die Wand und trennten uns, damit wir uns besser in die natürlichen Falten des Stoffes schmiegen konnten. Ich sah Rachel nicht mehr, doch ich erkannte überrascht, dass wir uns an den Händen hielten. Der Instinkt war so primitiv, als wären wir zwei Neandertaler, die sich gegen eine Höhlenwand drückten und vor einem Feind zu verbergen trachteten.
»Warum ausgerechnet hier?«, fragte sie leise. »Warum nicht hinten in einem Laden?«
Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie die Polizei unseren gestohlenen Truck einkreiste.
»Hunde«, flüsterte Rachel. »Noch vor einer Minute war dieser Raum voll schwitzender Menschen. Lauter verschiedene Gerüche. Anders als im Lagerraum eines Geschäfts.«
»Genau.« Der Soundtrack des Films endete, und Stille kehrte ein. Ich erwartete Stimmen zu hören, doch nichts geschah. Fünfzehn Minuten vergingen. Zwanzig. Rachel umklammerte meine schwitzende Hand. Als ich mir den Schweiß von der Stirn wischen wollte, hörte ich jemanden sagen: »Ich nehme den Mittelgang!«
Rachels Hand drückte meine.
Funksprüche hallten durch den Kinosaal.
»Okay!«, rief ein zweiter Mann. »Ich leuchte mit der Taschenlampe unter die Sitze!«
Die Männer bereiteten mir keine große Sorge, doch das leise
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