Geraubte Erinnerung
dämmerte es mir. Rachel war weit genug entfernt, um zusammen mit dem entsetzten Mob zu flüchten, falls Geli mich in der Öffentlichkeit niederschoss.
»Lassen Sie die Waffe fallen, Doktor!« , brüllte Geli und setzte sich wieder in Bewegung. Langsam kam sie die restlichen Stufen herab, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Lassen Sie die Waffe fallen und legen Sie sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden! Ich werde nicht schießen.«
Von ihrer Position aus konnte sie mich nicht verfehlen. Ich ließ meinen Revolver auf den polierten Marmorboden fallen. Gelis Augen blitzten zufrieden.
Die Menge reagierte auf die Störung wie ein Ameisenhaufen auf eine Gefahr in seiner Mitte. Wellen von Panik breiteten sich vom Zentrum her in alle Richtungen aus und erzeugten einen Zyklon aus Menschen, die zu den Ausgängen flüchteten. Falls dort Polizisten stationiert waren, würden sie sich ihren Weg in den Bahnhof erkämpfen müssen.
»Kommen Sie hierher, Dr. Weiss!«, befahl Geli.
»David?«, fragte Rachel ängstlich.
Auf Gelis Automatik steckte ein Schalldämpfer. »Lauf!« , brüllte ich. »Lauf weg! Schnell!«
Geli schwenkte die Waffe auf Rachel. Ich sprang mit einem Satz zu den Treppenstufen und bekam ihre Handgelenke zu packen, als sie einen Schuss abfeuerte. Die Wut in ihrem Gesicht verriet mir, dass sie Rachel verfehlt hatte.
Geli rammte mir ein Knie in den Magen, und mir blieb die Luft weg. Ich klammerte mich an ihre Handgelenke wie ein Mann, der einen grünen Ast abzubrechen versucht. Sie warf sich nach hinten und wirbelte herum. Ich landete mit dem Rücken auf der Treppe, und sie setzte sich rittlings auf mich. Ich kämpfte verzweifelt darum, den Lauf der Waffe von mir weg zu halten, doch sie war im Vorteil und hatte den besseren Hebel. Stück für Stück schwang der Schalldämpfer zu mir herum. Gelis Gesicht war hochrot vor Anstrengung, bis auf die Narbe, die geisterhaft weiß schimmerte.
»Lassen Sie die Waffe los!«, rief eine weibliche Stimme. »Los, alle beide! Waffe fallen lassen und aufstehen!«
Drei Meter entfernt stand Rachel, beide Hände um meinen Revolver geklammert, die Augen geweitet vor Entsetzen.
»Legen Sie die Waffe weg!«, rief Geli Bauer. »Sie behindern eine Bundesbeamtin in Ausübung ihrer Pflicht!«
»Erschieß sie!«, brüllte ich, während ich versuchte, Geli die Waffe zu entwinden. »Sie hat Fielding ermordet! Erschieß sie!«
Geli rammte mir den Ellbogen in den Solarplexus und den Schalldämpfer gegen die Wange. Eine Explosion versetzte meine Trommelfelle in singende Schwingungen wie ein Gong, undetwas Nasses spritzte mir ins Gesicht. Gelis weit aufgerissene Augen schienen mein Gesichtsfeld auszufüllen, dann sackte sie über mir zusammen.
Ich rollte sie von mir, packte ihre Pistole und sprang auf.
Rachel hielt noch immer den rauchenden Revolver in der Hand. Sie zitterte wie Espenlaub. Die Kugel hatte Geli am Hals getroffen, doch es war ihr gelungen, einen Finger in die Wunde zu stecken und die Blutung zu stoppen. Noch niemals hatte ich eine solche Wut in den Augen eines Menschen gesehen. Ich packte Rachels Handgelenk und zog sie mit mir in die Haupthalle. Als wir um die Ecke bogen, hallte Gelis Stimme durch die dreißig Meter hohe Halle. »Du bist tot, Tennant! Du bist so verdammt tot, wie ein Mensch nur sein kann!«
Ich rannte zu dem Buchgeschäft am Ende der Mall. Bücherkisten waren groß und schwer. Was bedeutete, dass es irgendwo eine Laderampe geben musste.
Kunden sprangen hastig aus dem Weg, als ich Rachel durch den Laden in den Lagerraum schob. Der geflieste Boden war voll gestapelt mit Kisten und Paletten, und tatsächlich, dort gab es auch ein motorbetriebenes Tor mit einer Rampe, um die Lieferungen anzunehmen. Ich hämmerte mit der Faust auf einen roten Knopf neben dem Tor, und es glitt langsam nach oben.
Sonnenlicht flutete in den Lagerraum. Ich trat zur Rampe und ließ Rachel in die Ladebucht hinunter, dann sprang ich hinterher. Ein Lieferwagen parkte in der Zufahrt zur Bucht, und zwei Männer standen neben der Fahrerkabine und unterhielten sich. Wir rannten die Schräge hinauf, und ich sah einen weißen Toyota Corolla, der vor dem Lieferwagen parkte. Die Fahrertür stand offen, doch niemand saß hinter dem Steuer.
Ich richtete den Revolver auf die beiden Männer und winkte mit der Waffe zu dem Toyota. »Ich brauche den Wagen, los!«
Der Fahrer des Lieferwagens hob die Hände, doch der andere Mann sah zu dem Toyota und sagte störrisch: »Das ist mein
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