Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
meine Halsbeuge und zog mich gegen sich. Ihre professionelle Persönlichkeit war mit dem Bettlaken von ihr geglitten, und einmal mehr war diese neue Rachel wie eine Offenbarung, die ich mehr als alles auf der Welt wollte. Ich beugte mich zu ihr herab und küsste sie. Ihre Lippen waren warm und geschmeidig und ganz anders als die wachsartigen Lippen in meinem Traum. Bei dem Gedanken durchlief mich ein Schauer.
    Rachel wich zurück und sah mir in die Augen. »Was ist los?«
    »Alles in Ordnung«, sagte ich und beugte mich erneut vor, um sie zu küssen.
    Sie schüttelte den Kopf. »Überhaupt nichts ist in Ordnung. Es wird nicht in Ordnung sein, bevor wir diese Jesus-Geschichte nicht ein für alle Mal hinter uns gebracht haben.«
    Das Telefon läutete, und wir zuckten beide zusammen.
    Ich nahm den Hörer ab. »Ja?«
    »Ihr Wagen ist da, Sir«, meldete eine akzentbeladene Stimme.
    »Danke sehr.« Ich legte wieder auf.
    Bevor ich erklären konnte, wer am Apparat gewesen war, drückte Rachel mir einen Kuss auf die Wange und begann sich anzuziehen.
    Unser Fahrer war ein schnurrbärtiger älterer Palästinenser namens Ibrahim. Ibrahims Englisch war bestenfalls bruchstückhaft, doch er verstand immerhin, dass wir in die Altstadt von Jerusalem wollten, und das reichte ihm aus, um uns zum Jaffa-Tor zu bringen.
    Als wir uns der sonnengebleichten Steinmauer näherten, verspürte ich ein erstes Déjà-vu. Hinter dieser Mauer, in jener blutgetränkten Quelle der Geschichte, lag ein Geheimnis, das allein auf mich wartete. Zweitausend Jahre lang hatte es dort gelegen, unsichtbar für all diejenigen, die mit Schaufeln und Hacken, mit Zahnbürsten und Zahnstochern gekommen waren und gegraben hatten. Ich wusste nicht, was für ein Geheimnis es war, doch ich würde es wissen, sobald ich es sah.
    »Wo willst du anfangen?«, fragte Rachel.
    »Mit dem letzten Tag Jesu Christi.«
    »Ja«, sagte Ibrahim und drehte sich zu mir um. »Ölberg, Garten Gethsemane, Schädelstätte.«
    Ein Motorradfahrer hupte wütend, als er uns überholte und vorbeijagte.
    »Schädelstätte?«, fragte ich.
    »Auf Hebräisch Golgatha. Der Kalvarienberg. Wo Jesus gekreuzigt wurde.«
    »Dahin wollen wir.«
    »Kirche des Heiligen Grabes. Neun Stationen des Kreuzwegs außerhalb Kirche, letzte fünf Stationen drinnen. Ich bringen hin.«
    »Warum ausgerechnet dort?«, fragte Rachel.
    Ich spürte, wie eine Hitzewelle durch mich hindurchging, und für einen Augenblick konnte ich nicht mehr atmen. »Ich weiß es nicht.«
    »David? Was ist denn los mit dir?« Rachel legte erschrocken eine Hand auf meine Stirn. »Du glühst ja förmlich!«
    Dreißig Sekunden zuvor hatte ich mich noch gesund gefühlt, doch Rachel hatte Recht. »Wir müssen uns beeilen, ja?«
    Ibrahim steuerte den Wagen in eine Parklücke, die soeben frei geworden war. Hinter uns stand ein riesiger Touristenbus, der die Sicht versperrte. »Bleiben wir vor der Stadtmauer?«, fragte Rachel.
    »Ja«, antwortete Ibrahim. »Ist Brauch, von hier aus gehen zu Fuß. Sehen Wahrzeichen von Stadt.«
    »Wie weit ist es bis zur Grabkirche?«
    »Heilige Kirche? An Tag mit viel Betrieb wie heute, halbe Stunde bis Via Dolorosa, vielleicht ein klein wenig mehr.«
    Rachel sah ihn zweifelnd an. »Können Sie uns nicht näher heranbringen?«
    »Mister sein krank?«
    Sie zögerte. »Ja«, sagte sie schließlich. »Er ist nach Jerusalem gekommen in der Hoffnung, dass er hier Hilfe findet.«
    »Ah. Viele kranke Menschen kommen Jerusalem wegen Grab Jesu und küssen Stein, wo er auferstanden von Toten«, sagte Ibrahim.
    »Können Sie uns helfen?«
    »Natürlich. Für hundert Schekel mehr ich Sie bringen hin ganz schnell.«
    »Was auch immer.«
    Ibrahim setzte den Wagen rückwärts aus der Parklücke, hämmerte auf seine Hupe und gab Gas, was ihm Verwünschungen von einer Frau mit einem Kopftuch einbrachte, die zur Seite springen musste, um nicht über den Haufen gefahren zu werden. Eine weitere unerträgliche Hitzewelle stieg in mir auf. Ich befürchtete, jeden Augenblick das Bewusstsein zu verlieren.
    »Hast du wieder einen narkoleptischen Anfall?«, fragte Rachel.
    »Nein. Es ist anders.«
    »Wir sollten vielleicht lieber umkehren und ins Hotel gehen.«
    »Nein. Zur Via Dolorosa.«
    »Die Via Dolorosa«, echote Ibrahim. »Straße der Traurigkeit. Christen hier nennen sie Straße der Blumen. Erste Station Jesus zum Tode verurteilt, zweite Station Jesus Kreuz aufgeladen bekommen, dritte Station Jesus stolpern erste Mal, vierte

Weitere Kostenlose Bücher