Geraubte Erinnerung
Antlitz auf wundersame Weise auf dem Tuch abgebildet … Hier fiel Jesus zum zweiten Mal auf die Knie … Hier hat er gesagt: ›Töchter von Jerusalem, weint nicht um mich, sondern um euch und eure Kinder …‹
Wir kamen über ein Dach und durch eine dunkle Kapelle, und dann fand ich mich in einem bevölkerten Hof vor einer römischen Kirche wieder. Pilger, Priester und Nonnen bewegten sich unter den wachsamen Augen eines Dutzends israelischer Soldaten mit Maschinenpistolen.
»Dies ist die heilige Grabkirche«, berichtete Ibrahim und deutete mit ausholender Geste auf das alte Gemäuer. »Errichtet von den Kreuzfahrern über einen Zeitraum von fünfzig Jahren hinweg zwischen 1099 und 1149. Die ursprüngliche Basilika wurde von Königin Helena errichtet, der Mutter von Konstantin, der im Jahre 325 nach Jerusalem kam und in einer Erdhöhle Überreste des wahren Kreuzes entdeckte.«
Ich starrte bestürzt auf die lange Schlange von Touristen vor dem Eingang.
»Das gar nicht schlecht«, sagte Ibrahim. »Tourismus sehr schwach für diese Zeit von Jahr. Kämpfe schrecken alle Touristen ab, selbst in heiliger Osterwoche. Gut für Sie, schlecht für mich. Alles in Ordnung, Sir? Geht es Ihnen gut? Ibrahim kann Wasser holen, während wir warten.«
»Mir geht es gut, danke sehr.«
»Du kannst dich ruhig stärker auf mich stützen«, sagte Rachel und stemmte sich von unten in meine Achselhöhle.
Ich beugte mich zu ihr herüber. »Danke.«
Sie streichelte mir mit dem Handrücken über die Wange. »Ich wünschte, ich könnte deinen Blutdruck messen.«
»Auf rechte Seite von Eingang ist zehnte Station«, berichtete Ibrahim. »Dort Jesus nackt ausgezogen. Letzte fünf Stationen von Kreuzweg in Kirche selbst.«
»Ist es nicht eigenartig?«, fragte Rachel leise. »Millionen von Menschen reisen hierher, um ein leeres Grab zu sehen?«
Ich konnte nur nicken.
»Das sein einzige leere Grab von alle Christenkirchen auf ganze Welt«, sagte Ibrahim. »Der Engel fragen die Marias: ›Wen ihr suchen?‹ – ›Jesus von Nazareth‹, sie antworten. ›Jesus nicht hier‹, der Engel sagen. ›Jesus auferstanden.‹«
Der Hof verblasste vor meinen Augen, und meine Glieder wurden weniger schwer. Ich fühlte mich, als würde ich in Rachels Arm schweben.
»David?«, fragte sie mich. »Kannst du mich hören?«
Ich blinzelte und stellte überrascht fest, dass ich hinauf zu einer steinernen Decke starrte. »Sind wir in der Kirche?«
»Du hast geschlafwandelt !«, flüsterte sie mit besorgten Blicken. »Wir müssen dich zurück ins Hotel bringen!«
»Jetzt sind wir hier. Wir haben es geschafft. Ich muss es sehen.«
» Was sehen?«
Und in diesem Augenblick wusste ich, wonach ich gesucht hatte. »Das Grab.«
Rachel wandte sich an Ibrahim. »Wo ist das Grab Jesu?«, fragte sie.
»Hier entlang. Alle Stellen nah beieinander in diese Kirche.« Er deutete auf eine rötliche Marmorplatte im Boden. Eine Reihe von Männern und Frauen in Straßenkleidung kniete um die Platte herum und presste die Gesichter gegen den Stein. Über ihnengoss eine Frau etwas auf die Platte. Ein widerlich süßer, schwerer Geruch nach Parfum stieg mir in die Nase.
»Was ist das?«, fragte ich.
»Der Stein der Salbung«, sagte Ibrahim. »Dort Leiche von Jesus eingeölt und in ein Tuch gewickelt, nachdem er von Kreuz heruntergenommen.«
Ich trat näher, doch ich spürte nichts. »Ist das der echte Stein?«
»Nein, Sir. Dieser Stein von 1810 und ersetzen Stein aus zwölfte Jahrhundert. Davor nichts Genaues bekannt. Hier entlang, Sir.«
Er führte uns nach links in die Rotunde der Kirche. Licht fiel durch eine spektakuläre goldene und weiße Kuppel. Unter der Kuppel stand ein rechteckiges Gebilde aus Marmor, das aussah, als wäre es zum Verschiffen mit stabilen Metallbändern versehen worden. Auf dem Gebilde saß ein Deckel, der aussah wie einer der Zwiebeltürme des Kreml.
»Was ist das?«, fragte ich.
»Das Heilige Grab, Sir. Wir es nennen Edicule oder Kleines Haus. Weil Jesus ein so bedeutender Mann gewesen, Byzantiner und Kreuzfahrer viel Geld ausgegeben, um dieses Grab für ihn zu machen. Es sein vierzehnte und letzte Station von Kreuzweg. Nach dem Brauch von Juden Tote immer außerhalb von Stadt begraben. Marmor heute sich auflösen und muss gehalten werden von Eisenbändern. Kommen mit, Sir? In Reihe anstellen? Ma’am?«
Ibrahims unermüdlicher Redeschwall dauerte an, doch ich war zu desorientiert, um seine Worte zu verarbeiten. Ich hatte geglaubt,
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