Geraubte Erinnerung
Ich fühle mich sicherer, wenn sie um mich ist.«
Die durchdringenden blauen Augen fixierten Ravi mit erbarmungsloser Kälte. »Was machen Sie eigentlich hier, Dr. Nara?«, fragte Godin.
»Ich hatte gehofft, Sie vom Respirator nehmen zu können, Sir. Aber wie ich sehe, haben Ihre Pfleger das bereits getan.«
Godin sah zu Geli. Sie schienen sich heimlich auf seine Kosten zu amüsieren.
Ravi suchte nach Worten, um seine Lüge zu untermauern. »Zach Levin hat mir verraten, dass der Prototyp bald den Trinity-Zustand erreicht. Ich wusste, dass Sie so wach und aufnahmefähig sein wollten, wie nur irgend möglich, wenn es so weit ist.«
»Und das alles verdanken wir Andrew Fielding«, sagte Godin. »Die Ironie ist einfach atemberaubend.«
Ravi warf einen nervösen Seitenblick zu Geli. »Es ist ein Wunder, Peter. Sie werden erleben, wie Ihr Traum Wirklichkeit wird.«
Godins Lider sanken herab, bis seine Augen nur noch schmale Schlitze waren. »Tatsächlich? Haben Sie in letzter Zeit von Skow gehört?«
Ravis Blutdruck jagte in die Höhe. »Ich habe heute noch mit ihm telefoniert, ja. Er ist ganz aufgeregt. Er wird bald herkommen.«
Godin stieß ein Schnauben aus. »Er will dabei sein, wenn es so weit ist?«
»Ich denke ja. Ich meine, natürlich will er das.«
Das Schweigen, das sich daraufhin ausbreitete, war fast unerträglich. Ravi brachte es nicht über sich, Geli in die Augen zu sehen. Er suchte nach einer Entschuldigung, um sich zurückzuziehen, als Godin das Wort ergriff. »Wie lange habe ich noch? Im schlimmsten Fall?«
Ravi war zu verängstigt, um etwas anderes als die Wahrheit zu sagen. »Sie könnten bereits in der nächsten halben Stunde wieder in ein Koma fallen. Wenn Sie Ihr Essen falsch kauen, könnten Sie einen tödlichen Hydrocephalus erleiden.«
Godin nickte ernst. »Und wie viel Zeit bleibt mir längstens?«
»Vielleicht … vierundzwanzig Stunden, Sir.«
Ravi nahm all seinen Mut zusammen und trat an das Bett. »Ich würde Sie gern rasch untersuchen, falls Sie keine Einwände haben.«
Geli trat ihm in den Weg. Sie tat nichts offen Bedrohliches, doch allein ihre Haltung wirkte gefährlich. Ravi konnte kaum fassen, dass er Stunden damit verbracht hatte, über Sex mit Geli Bauer zu fantasieren. Der bloße Gedanke, er könnte imstande sein, eine Frau mit so viel Kraft und Macht zu befriedigen, erschien ihm jetzt maßlos lächerlich.
»Durchsuchen Sie ihn«, befahl Godin.
In diesem Augenblick wusste Ravi, dass er verloren war. Er wollte flüchten, doch er war wie ein Mann, der von einem Kampfhund angegriffen wurde. Falls er sich abwandte, wäre Geli mit einem Satz bei ihm und würde ihm die Kehle aufschlitzen.
Sie ging vor ihm in die Knie und tastete ihn ab. Verachtungsvoll fuhr sie mit einem Fingernagel über seinen Schritt, doch als ihre Hand über seinen rechten Oberschenkel glitt, leuchteten ihre Augen auf wie die eines schelmischen Kindes. Sie griff in seine Hosentasche und brachte die aufgezogene Spritze zum Vorschein, um sie Godin triumphierend hinzuhalten.
»Was ist in dieser Spritze, Ravi?«, fragte Godin.
»Epinephrin«, sagte Ravi schwitzend. »Für den Fall, dass Sie erneut ins Koma fallen. Ich wollte bereit sein.«
Geli schüttelte den Kopf. »Ich habe eben ein Überwachungsband von heute Nachmittag angesehen. Es zeigt Sie in der Lazarettapotheke, Ravi. Und es zeigt, wie Sie diese Spritze aus einer Flasche füllen, auf der ein Etikett mit der Aufschrift ›KCL aq.‹ klebt. Kaliumchloridlösung.«
Ravis Hände begannen zu zittern.
Godin ergriff das Wort. »Während wir hier miteinander sprechen, wird Dr. Thomas Case vom Johns Hopkins eingeflogen«, sagte er mit leidenschaftsloser Stimme. »Sie werden ihn über meinen Zustand informieren, sobald er eintrifft. Anschließend wird Dr. Case meine Behandlung übernehmen.«
Ravi fühlte sich wie betäubt.
Godin blickte ihm unablässig in die Augen. »Sie konnten nicht einen Tag länger warten, bis der Krebs mich besiegt hat, Ravi?«
Was konnte er antworten? Würde es ihm irgendetwas ersparen, wenn er Skow belastete?
»Antworten Sie nicht«, sagte Godin. »Trotz allen Ruhms, den Sie bereits erlangt haben, wollen Sie immer noch mehr, nicht wahr? Sie blicken nicht mit Stolz auf Ihre Errungenschaften, sondern voller Angst, dass es Ihnen vielleicht nie wieder gelingen könnte, ihre Erfolge zu wiederholen. Sie sind ein kleiner Geist, Ravi. Andrew Fielding war zehnmal mehr wert als Sie.«
»Und Sie!«, entgegnete Ravi, erstaunt
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