Geraubte Erinnerung
könnte allerdings eine Weile dauern, ihn zu erreichen.«
Weinstein nahm sie mit in ein angrenzendes Büro und zeigte ihr, wie sie aus dem Hospital nach draußen wählen konnte. Dann gab er ihr die Nummer seines Pagers und verabschiedete sich, um nach Hause zu seiner Familie zu gehen.
Rachel starrte das Telefon an, während sie versuchte, genügend Mut zu sammeln, um im Weißen Haus anzurufen. Es war die einzige Möglichkeit, die ihr einfiel, um Nara zu erreichen. Doch irgendetwas hielt sie zurück. Es war die wachsende Überzeugung, dass David, ganz gleich, wie krank er sein mochte, nicht völlig in Wahnvorstellungen versunken war. Er hatte ihr erzählt, dass Ravi Nara gefährlich war, und ein Teil von Rachel glaubte ihm. David würde vielleicht niemals erfahren, wie sehr sie ihm in dieser Hinsicht inzwischen vertraute, doch war nicht genau das die Natur allen Glaubens? Zu glauben ohne Antwort, ohne Belohnung, ohne Beweis? Sie erhob sich, wischte sich die Augen und ließ das Telefon unangetastet.
Das war vor zehn Stunden gewesen.
Seither hatte sie an Davids Seite gesessen und unablässig auf das EEG gestarrt, wie ein Pilger, der eine Marmorstatuebeobachtet in der Hoffnung, dass sie weinen würde. Doch die Alpha-Wellen waren konstant geblieben. Als junge Assistenzärztin hatte Rachel viele Nächte damit verbracht, Patienten zu beobachten, die langsam und unaufhaltsam dem Tod entgegentrieben. Als Psychiaterin hatte sie suizidale Patienten beobachtet, die Stück für Stück durch selbst verabreichte Gifte starben, deren Wirkungen nicht neutralisiert werden konnten. Doch nur eine einzige Erfahrung in ihrem Leben hatte sie jemals so erschüttert und so viel Einsamkeit in ihr hervorgerufen wie dies hier.
Der Tod ihres Sohnes.
Sie war fast daran zerbrochen, und nun, nachdem sie einen Mann gefunden hatte, mit dem sie vielleicht eines Tages noch einmal ein Kind haben konnte, fand sie sich neben seinem Krankenhausbett wieder, wo sie hilflos auf das Unausweichliche wartete.
Gegen drei Uhr morgens hatte sich auf dem Monitor des EEGs ein weiterer Ausbruch von Beta- und Theta-Wellen gezeigt. Er hatte siebzehn Minuten gedauert, dann war er verebbt. Jede halbe Stunde klatschte sie neben Davids Ohr in die Hände, doch die Alpha-Wellen veränderten sich nicht.
Nach dem Gerät zu urteilen, war David hirntot.
Eine Stunde nach Sonnenaufgang beugte sie sich vor und küsste ihn auf die Stirn, dann stand sie auf und ging in das Büro, um zu telefonieren. Sie musste mit verschiedenen Vermittlern diskutieren, doch innerhalb weniger Minuten war sie mit dem Weißen Haus verbunden.
»Ich rufe wegen Project Trinity an«, sagte sie zu dem Operator.
»Bitte wiederholen Sie«, verlangte der Mann.
»Project Trinity.«
»Bleiben Sie bitte am Apparat.«
Rachel schloss die Augen. Ihre Hände bebten, und eine innere Stimme befahl ihr aufzulegen. Doch bevor sie es konnte, war eine neue männliche Stimme in der Leitung. »Wer spricht da?«
»Rachel Weiss.«
Ein scharfes Einatmen. »Wer bitte?«
»Dr. Rachel Weiss. Ich bin bei Dr. David Tennant, und ich benötige dringend Hilfe. Ich glaube, Dr. Tennant liegt im Sterben.«
»Bleiben Sie ruhig. Ich werde …«
Rachel verlor die Selbstbeherrschung. »Bitte!«, schrie sie in den Hörer. »Ich muss mit jemandem reden, der weiß, was Project Trinity ist!«
»Dr. Weiss, ganz gleich, was geschieht, bleiben Sie bitte am Apparat. Sie haben das Richtige getan. Bitte, daran dürfen Sie nicht zweifeln.«
33
R avi Nara lag auf dem Betonfußboden, eine Nadel an die Halsschlagader gepresst. Er war sicher, dass Geli Bauer ihn im nächsten Augenblick mit der gleichen Spritze töten würde, die er bei Godin hatte verwenden wollen, als sein Pager summte. Er wurde über das Interkomsystem von White Sands in den Hospitalhangar gerufen.
»Dr. Nara, bitte melden Sie sich sofort bei Mr Godin in der Blase!«
»Peter erleidet vielleicht den nächsten Infarkt!«, kreischte er.
Geli riss ihn auf die Füße und schob ihn zur Tür.
Während sie zum Hospitalhangar eilten, dachte Ravi an die zurückliegende halbe Stunde. Nachdem sie die Spritze gefunden hatten, war Geli mit ihm in die leere Lagerhalle marschiert. Als sie eintrafen, hatte Ravi sie gefragt, was zur Hölle sie in White Sands machte. Geli hatte nur grinsend an der Wand gelehnt und ihn betrachtet wie ein Insekt, das sie im nächsten Augenblick mit Nadeln auf ein Brett spießen würde.
»Ich wollte herausfinden, ob Skow die Wahrheit sagt«, hatte sie
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