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Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Andy passiert?«
    Ich zögerte, im Haus frei zu sprechen. Als Lu Li meinen besorgten Gesichtsausdruck bemerkte, erhob sie sich, ging zum Kamin und griff nach oben in den Schornstein. Sie brachte eine rußige Schachtel zum Vorschein, die sie auf den Wohnzimmertisch stellte. Ich hatte die Schachtel schon früher gesehen. Sie enthielt verschiedene selbst gebaute elektronische Apparate, die mich an die Heathkit-Baukästen meiner Jugend erinnerten, an denen ich mit meinem Vater zusammen gebastelt hatte. Lu Li nahm ein Gerät hervor, das aussah wie ein Metallstab.
    »Andy Haus diesen Morgen vor Arbeit überprüft«, erklärte sie. »Hat alle Mikrofone unschädlich gemacht. Ist okay zu reden.«
    Ich warf einen Seitenblick auf Rachel. Der Subtext war klar. Lu Li wusste, was bei Trinity vorging, oder zumindest kannte sie die Sicherheitstaktiken der NSA. Geli Bauer würde dieses Haus wahrscheinlich auseinander nehmen lassen, sobald Lu Li es zum Einkaufen verließ. Ich fand es überraschend, dass die Sicherheitsleute überhaupt bis jetzt damit gewartet hatten.
    »Haben Sie das Haus heute schon einmal verlassen?«, fragte ich.
    »Nein«, antwortete Lu Li. »Man wollte mir nicht sagen, welches Krankenhaus Andy gebracht.«
    Ich bezweifelte, dass man Fielding überhaupt in ein Krankenhaus gebracht hatte. Wahrscheinlich war er nach Fort Meade, Maryland, geflogen worden, zu irgendeiner Spezialabteilung für Autopsien oder schlimmer. Die Briten mochten sich später beschweren, doch das war das Problem des Außenministeriums, nicht der NSA. Und die Briten – Unterzeichner des Gesetzes über die Wahrung von Staatsgeheimnissen und der »D-Notice« – hatten sowieso die Angewohnheit, sich stets brav auf die Seite der Vereinigten Staaten zu schlagen, wenn es um Dinge wie nationale Sicherheit ging.
    »Ich glaube, wir sollten trotzdem flüstern«, sagte ich leise und deutete auf die Wand. »Und vielleicht sollte ich diese Schachtel mitnehmen, wenn wir wieder fahren. Ich fürchte, dass die N…«, ich biss mir gerade noch auf die Lippen, »dass die Sicherheitsleute der Company dieses Haus durchsuchen werden, sobald Sie, Lu Li, es verlassen. Und Sie möchten doch bestimmt nicht, dass jemand diese Dinge findet.«
    Lu Li war in einem kommunistischen Land mit rücksichtsloser Sicherheitspolitik aufgewachsen. Ihre Bereitschaft, an das Schlimmste zu glauben, war tief in ihr verwurzelt. »Haben sie meinen Andy getötet?«, fragte sie leise.
    »Ich hoffe nicht. In Anbetracht von Andys Alter, seinem Gesundheitszustand und seinen Angewohnheiten wäre ein Schlaganfall durchaus möglich. Aber … ich glaube nicht, dass es ein Schlaganfall war. Warum denken Sie, dass er ermordet worden sein könnte?«
    Lu Li schloss die Augen, und Tränen traten zwischen den Lidern hervor. »Andy wusste, dass ihm etwas passieren könnte. Er mir so sagen.«
    »Hat er es einmal gesagt? Oder häufiger?«
    »Viele Male, letzte zwei Wochen.«
    Ich atmete tief und langsam durch. »Wissen Sie, warum Andy mich beim Nags Head sehen wollte?«
    »Er wollte reden. Das alles, was ich weiß. Andy sehr viel Angst wegen Arbeit. Wegen Trinity. Wegen …«
    »Was?«
    »Godin.«
    Irgendwie hatte ich gewusst, dass Godin dahinter stecken musste. John Skow war ein Mann, den man leicht hassen konnte – ein arroganter Technokrat ohne jegliche Moral –, doch er konnte kaum Angst verbreiten. Godin hingegen war im Grunde genommen sympathisch – ein Genie, ein Patriot im besten Sinne des Wortes, ein Mann mit Überzeugungen –, doch wenn man eine Zeit lang mit ihm gearbeitet hatte, spürte man etwas Unterschwelliges, Beängstigendes von ihm ausgehen, einen faustischen Hunger nach Wissen, der jede Grenze missachtete und alle Schranken überwand. Eines war sicher: Wer immer dumm genug war, sich zwischen Godin und seine Ziele zu stellen, würde nicht lange dort bleiben.
    Godin und Fielding waren zu Anfang gut miteinander ausgekommen. Sie waren ungefähr im gleichen Alter, und Godin besaß Robert Oppenheimers Begabung, talentierte Wissenschaftler zu motivieren: eine Kombination aus Schmeichelei und provokativen Einsichten. Doch die Flitterwochen zwischen den beiden hatten nicht lange gedauert. Für Godin war Project Trinity eine Mission, und er verfolgte sein Ziel mit missionarischem Eifer. Fielding war anders. Der Engländer war nicht überzeugt, dass man etwas nur deshalb tun sollte, weil man dazu in der Lage war. Fielding glaubte auch nicht, dass der Zweck, so nobel er letztendlich sein

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