Gerechtigkeit fuer Igel
unterschiedlichen Entscheidungen einzelner Astronomen führen kann. Nun kollidierte die festetablierte Praxis, Pluto als Planeten zu bezeichnen, aber mit der Entdeckung, daß wir um der Konsistenz willen dann auch viele unbedeutende Himmelskörper in unserem Sonnensystem ebenfalls unter diese Kategorie fallenlassen müßten. Aus diesem Grund gingen die Astronomen gewissermaßen gesetzgebend vor und fragten sich, welche Auffassung davon, was ein Planet ist, am besten dazu paßt, was Astronomen mit der Unterscheidung von Planeten und anderen Himmelskörpern erreichen wollen. Diese Frage wurde vor den Augen der Weltöffentlichkeit dann eine Woche lang debattiert, während die Schlagzeilen der Zeitungen täglich die wechselnden Positionen dokumentierten und zweifellos Wetten über das Schicksal Plutos abgeschlossen wurden. Letztendlich wurde Pluto sein bisheriger Status aberkannt, was unter anderem zur Folge hatte, daß mein Enkel mir meinen Status als Astronomieexperte aberkannte. Inzwischen ist der Begriff »Planet« wieder ein kriteriumsabhängiger Begriff, nachdem er mit einem schicken neuen Kriterienbündel versehen wurde. Man könnte aber auch sagen, daß er eine Zeitlang sozusagen auf einer anderen Laufbahn unterwegs war.
Moralische Begriffe
Die These, daß moralische Begriffe interpretativ sind, ist von großer Bedeutung für die Politische Philosophie und die Moralphilosophie. Wir können mit ihrer Hilfe zum Beispiel erklären, warum die verbreitete Vorstellung falsch ist, daß Philosophen eine »Analyse« der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Moral, des Muts oder des Rechts ausarbeiten können, die hinsichtlich
284 des substantiellen Werts oder der Wichtigkeit dieser Ideale neutral ist. Außerdem kann ich mich auf sie beziehen, um mein Urteil, die »Metaethik« sei ein fehlgeleitetes Unternehmen, zu stützen. Es scheint daher vernünftig, ausführlich darüber nachzudenken, welche Einwände gegen diese sehr kühne Behauptung ins Feld geführt werden können.
In Politik und Philosophie ist man sich über Fälle von Ungerechtigkeit oft uneins, und zwar bei Fragen wie der, ob eine gestaffelte Einkommenssteuer ungerecht ist, die im Gegensatz zu Fragen wie der, ob jemand bereits eine Glatze hat oder nicht, keineswegs für marginal gehalten werden. Die einen halten eine solche Staffelung für ein Gebot der Gerechtigkeit, während die anderen sie als eindeutig ungerecht erachten. Selbst wenn Vertreter dieser beiden Seiten feststellen würden, daß sie vollkommen unterschiedliche Kriterien verwenden, wären sie gleichwohl kaum versucht, daraus zu schließen, daß hier kein echter Konflikt vorliegt. Eine plausible Deutung dieser Beobachtung scheint zu sein, daß Gerechtigkeit und andere moralische Begriffe interpretativ sind.
Man könnte hier einwenden, daß es sich beim Begriff der Gerechtigkeit trotz dieser oberflächlichen Tatsachen um einen kriteriumsabhängigen Begriff handelt, weil auf einer höheren Abstraktionsebene Einigkeit darüber herrscht, welche Kriterien hier relevant sind. Wie abstrakt muß diese Ebene aber sein? In seiner Theorie der Gerechtigkeit behauptet John Rawls, daß Menschen, die sich in Fragen der Gerechtigkeit uneins sind, nichtsdestotrotz zustimmen, »daß Institutionen gerecht sind, wenn bei der Zuweisung von Grundrechten und -pflichten keine willkürlichen Unterschiede zwischen Menschen gemacht werden, und wenn die Regeln einen sinnvollen Ausgleich zwischen konkurrierenden Ansprüchen zum Wohle des gesellschaftlichen Lebens herstellen«.
10 Ich halte es aber keineswegs für ausgemacht, daß wir uns tatsächlich selbst auf einer noch so abstrakten Ebene einig sind. In manchen Teilen der Welt glauben viele Menschen, daß politische Institutionen ungerecht
285 sind, die es Gott gegenüber an der gebotenen Achtung fehlen lassen und Geistlichen weder besondere Autorität noch Vorteile zusprechen. Der Vorwurf lautet hier nicht auf willkürliche Diskriminierung, sondern richtet sich gerade auf das Fehlen einer als notwendig erachteten Diskriminierung und sagt zur Frage der richtigen Verteilung von gesellschaftlichen Vorteilen überhaupt nichts.
Ob wir überhaupt eine Formulierung finden können – selbst eine sehr abstrakte –, die einen Konsens all jener Menschen zum Ausdruck bringt, die unseres Erachtens einen Gerechtigkeitsbegriff mit uns teilen, steht keinesfalls fest. Aber selbst wenn uns das gelänge, hätten wir uns damit noch nicht auf ein Verfahren geeinigt, mittels dessen wir
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