Gerechtigkeit fuer Igel
spektakulären Leben begnügen sollen, das er in diesem Fall gehabt hätte. Selbst wenn wir also glauben, daß seine unmoralischen Handlungen ein besseres Leben zur Folge hatten, sollte uns das nicht von dem Urteil abbringen, daß er sein Leben schlecht gemeistert hat.
Diese beiden Ideale auseinanderzuhalten hilft uns dabei, ein weiteres Phänomen zu verstehen, das zahlreiche Philosophen fasziniert hat.
7 Selbst wenn es nicht unsere Schuld war, reagieren wir mit großem Bedauern darauf, anderen schweres Leid zugefügt zu haben. Es belastet uns. Obwohl Ödipus nicht wußte, was er tat, als er seinen Vater tötete, hat er sich selbst geblendet. Ein Schulbusfahrer, der in einen Unfall verwickelt ist, in dem Dutzende Kinder sterben, wird selbst dann, wenn sein Fahrverhalten fehlerfrei war und niemandem etwas vorzuwerfen ist, einen lebenslangen Schmerz empfinden. Dieser Schmerz unterscheidet sich von einem unpersönlichen Bedauern dessen, was vorgefallen ist, wie es jeder, der einen Zeitungsartikel darüber liest, empfinden könnte, und ist direkt darauf zurückzuführen, daß er selbst den Bus gefahren hat. Solche bedauerlichen Zufälle werden von manchen Philosophen als moralischer Zufall bezeichnet, weil jener Fahrer diesen besonderen Kummer nicht nur einfach faktisch erleben wird, sondern wir zudem denken würden, daß mit seinen moralischen Gefühlen etwas nicht stimmt, wenn dies nicht der Fall wäre.
Wenn man der Meinung ist, daß Schuld nur mit fehlerhaftem Handeln zu tun haben kann und, mit Kant gesprochen, nur ein schlechter Wille moralisch relevant ist, muß dies rätselhaft erscheinen. Die von uns eben getroffene Unterscheidung erlaubt uns aber, dieses Rätsel aufzulösen, ohne die Wirkung des »moralischen Zufalls« leugnen zu müssen. Ob ich hinsicht
341 lich meiner Lebensführung erfolgreich bin, ist von dem Schaden, den ich anderen ohne eigenes Verschulden zugefügt habe, unabhängig, aber es scheint vollkommen plausibel anzunehmen – und tatsächlich können wir gar nicht anders –, daß meine Lebensqualität davon keineswegs unberührt bleibt. Ebenso wie ich es bedauern kann, wenn mein Leben durch das ungerechte Handeln anderer ruiniert worden ist, ohne daß diese daran in irgendeiner Weise schuld sind, kann ich bedauern, daß mein Leben durch die Tatsache ruiniert worden ist, daß eine bestimmte Tragödie ohne mein schuldloses Handeln nicht stattgefunden hätte. Wenn wir über das Gelingen unserer Lebensführung nachdenken, beziehen Schuldgefühle sich auf schuldhaftes Handeln, wenn wir uns aber fragen, ob wir ein gutes Leben hatten, kommt in unserem Bedauern das uns widerfahrene Pech zum Ausdruck.
Die Unterscheidung zwischen einem guten Leben und einer gelungenen Lebensführung hilft uns auch dabei, eine weitere Frage zu beantworten, die schon in der Antike aufkam. Kann, was nach unserem Tod geschieht, einen Einfluß auf unsere Lebensqualität insgesamt haben? Als Achilles Hektors Leichnam über die staubige Erde vor Troja schleifte, war das schlecht für Priamos, aber war es auch schlecht für Hektor? Macht es einen Unterschied für Sie, ob Ihre Kinder nach Ihrem Tod ein glückliches Leben führen oder ob all Ihre Bücher zerstört werden? Wenn wir nicht anerkennen, daß es einen Unterschied für uns macht, was nach unserem Tod geschieht, bliebe unbegreiflich, warum Menschen so sehr um ihr posthumes Schicksal besorgt sind.
8 Vielleicht kommt uns das aber einfältig vor: Warum sollte man sich darum Sorgen machen? Unsere Unterscheidung hilft uns hier weiter. Wie wir die Lebensführung eines Menschen beurteilen, ist unabhängig davon, was nach seinem Tod geschieht, ebenso wie unsere Antwort auf die Frage, wie gut ein bestimmter Künstler war, nichts mit dem kommerziellen Erfolg seiner Gemälde zu tun hat. Ob aber ein Mensch ein gutes Leben hatte, kann sehr wohl durch Ereignisse nach seinem
342 Tod beeinflußt werden, die seine Leistungen oder Hoffnungen entweder positiv oder negativ tangieren. Wie gut Ihr Leben gewesen ist, kann sich auch dann noch verändern, wenn Sie nicht mehr sind.
Ich habe außerdem behauptet, daß diese beiden Ideale – das gute Leben und die gelungene Lebensführung – aufeinander verweisen. Unser Medici-Prinz scheint jedoch den Schluß nahezulegen, daß sie uns unter Umständen unterschiedliche Richtungen vorgeben. Welches Ideal ist also im Hinblick auf unsere ethische Verantwortung von grundlegenderer Bedeutung? Die Antwort lautet: die gelungene Lebensführung.
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