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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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objektiven Wert und objektive Bedeutung. Von der griechischen Idee einer interpretativen Einheit der beiden Bereiche der Werte, die in der Moral der Selbstbejahung zum Ausdruck kam, existierte nur noch eine Schwundform. Im 17. Jahrhundert argumentierte Thomas Hobbes, die konventionelle Moral sei dem Eigeninteresse aller förderlich, das er wiederum auf die neue, nichtnormative, auf die Befriedigung von Wünschen ausgerichtete Weise verstand. Heute verwenden Denker dieser Tradition die Mittel der Spieltheorie, um dieselbe These genauer auszuarbeiten und zu verteidigen. Dieser Ansatz vereint zwar die Moral mit der Ethik, aber auf eine Weise, die beiden unrecht tut. Er legt eine wunschbasierte Auffassung der Ethik zugrunde und stipuliert, daß sich die Funktion der Moral darin erschöpft, den Wünschen zu dienen. Das griechische Ideal war ganz anders gelagert: Eine gelungene Lebensführung besteht ihm zufolge in mehr als bloß der Befriedigung eigener Wünsche, und die entsprechende Moralvorstellung fordert ein wirkliches und nicht nur ein instrumentelles Interesse am Leben anderer. Die moderne Moralphilosophie scheint dieses Ideal ethischer und moralischer Integrität fallengelassen zu haben.
    Obwohl ich Kant bis jetzt aus meiner einfachen Geschichte herausgelassen habe, kommt ihm eine vielschichtige und entscheidende Rolle zu. Seine Moralphilosophie scheint das Paradebeispiel für die Moral des Selbstverzichts zu sein. Eine wahrhaft moralische Person ist seines Erachtens allein durch das moralische Gesetz motiviert, also durch Gesetze und Maximen, von denen sie vernünftigerweise wollen kann, daß sie auf alle gleichermaßen Anwendung finden. Eine Handlung kann nicht moralisch gut sein, wenn sie allein durch die Interessen oder Neigungen des Akteurs motiviert ist, auch wenn es sich dabei um altruistische Neigungen oder das Bedürfnis, anderen zu helfen, handelt. Wie könnte ein solcher Ansatz dem Gedanken
44 Raum geben, daß der moralische Antrieb einer Person aus ihrem Streben resultieren kann, etwas Besonderes aus ihrem eigenen Leben zu machen oder gut darin zu sein, ein gutes Leben zu führen? Dennoch scheint Kant genau diese These zu vertreten, und die überzeugendste Lesart seines Werks sieht darin sogar die Grundlage seiner gesamten Moraltheorie.
    In einer bestimmten Phase der Entwicklung seines Ansatzes bezeichnet Kant die Freiheit als wesentliche Bedingung der Würde – ja, sogar als die Würde selbst – und sagt, daß ein Handelnder nur dann wirklich als frei gelten kann, wenn er sich das moralische Gesetz selbst gibt und dann in seinem Handeln diesem Gesetz gehorcht. Was also als Moral des Selbstverzichts erscheint, wird auf einer grundlegenderen Ebene zu einer Moral der Selbstbejahung. Kants Vereinigung von Ethik und Moral bleibt verborgen, da sie gewissermaßen im Dunkeln stattfindet, nämlich in dem, was er als die noumenale Welt bezeichnet. Wir haben zwar keinen Zugang zum Gehalt dieser Welt, können aber nur in ihr ontologische Freiheit erlangen. Die entscheidende Einsicht Kants können wir jedoch vor seiner Metaphysik retten. Ich werde sie in der folgenden Formulierung als das Kant'sche Prinzip bezeichnen: Eine Person kann die für ein gelungenes Leben unverzichtbare Würde und Selbstachtung nur dann erreichen, wenn sie die Menschheit selbst in all ihren Formen achtet. Dieser Gedanke kann uns als Vorlage einer Vereinigung von Ethik und Moral dienen. Während das Hume'sche Prinzip im ersten Teil des Buches, der der Unabhängigkeit der Moral von Wissenschaft und Metaphysik gewidmet ist, den Ton angibt, ist das Kant'sche Prinzip die Leitmelodie des dritten und vierten Teils, in denen es um die Interdependenz von Moral und Ethik geht. Zwischen diese habe ich einen zweiten Teil zur Frage der Interpretation gesetzt und nach sie den fünften Teil über Probleme der Politik und der Gerechtigkeit.

45 Teil I
Unabhängigkeit
     

47 Kapitel 2
Moralische Wahrheit
    Die Herausforderung
    »Wenn man über Werte sprechen will – also darüber, was eine gelungene Lebensführung ausmacht und wie Menschen miteinander umgehen sollten –, muß man zuvor auf einige sehr allgemeine philosophische Fragen eingehen. Um vernünftig darüber nachdenken zu können, ob es sich zum Beispiel bei Ehrlichkeit oder Gleichheit um wirkliche Werte handelt, müssen wir zunächst separat eine Antwort darauf geben, ob es überhaupt so etwas wie Werte gibt. Solange wir keine Meinung darüber haben, ob es überhaupt Engel gibt, ist es

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