Gerechtigkeit fuer Igel
gezeigt werden, daß es in der Welt Entitäten oder Eigenschaften gibt – vielleicht die bereits angesprochenen moralisch aufgeladenen Moronen –, deren Vorhandensein oder spezifische Konfiguration ein moralisches Urteil wahr machen kann. In Wirklichkeit gibt es aber nur einen Weg, sich das Recht zu »verdienen«, ein bestimmtes moralisches Urteil für wahr zu erklären, und weder Physik noch Metaphysik spielen dabei eine Rolle. Um die Aussage, Abtreibungen seien immer verwerflich,
52 wahr nennen zu dürfen, muß ich ein moralisches Argument dafür anführen, daß diese sehr kontroverse Meinung wahr ist. Einen anderen Weg gibt es schlicht nicht.
Ich befürchte aber, daß genau diese Art von Aussage jenen Kritikern vorschwebt, die davor warnen, Wahrheitsfähigkeit einfach vorauszusetzen, ohne dazu wirklich berechtigt zu sein. Im ersten Teil dieses Buches versuche ich, diese angeblich unberechtigte Annahme zu verteidigen. In den letzten Jahrzehnten hat die Moraltheorie außerordentlich an Komplexität gewonnen – meinem Eindruck nach hat sie ein größeres Sammelsurium von »-ismen« hervorgebracht als jeder andere Bereich der Philosophie
2 –, und darum muß ich bei meiner Navigation durch diesen ersten Teil eine Vielfalt unterschiedlicher Strömungen berücksichtigen. In diesem Kapitel versuche ich die Sichtweise herauszuarbeiten, die meines Erachtens von ganz gewöhnlichen Menschen vertreten wird – oder zumindest werde ich hier davon ausgehen, daß sie so beschrieben werden kann. Dieser gewöhnlichen Sichtweise zufolge können moralische Urteile entweder wahr oder falsch sein, und nur mit Hilfe moralischer Argumente läßt sich bestimmen, ob sie das eine oder das andere sind. Außerdem werde ich näher auf die bereits erwähnte Unterscheidung zwischen zwei Arten von Skeptizismus hinsichtlich dieser gewöhnlichen Sichtweise eingehen: zwischen dem externen Skeptizismus, der ausschließlich von nichtmoralischen Annahmen auszugehen beansprucht, und dem internen Skeptizismus, bei dem das nicht der Fall ist. Mit dem externen Skeptizismus befasse ich mich im dritten Kapitel und im vierten will ich näher beleuchten, in welchem Verhältnis die Wahrheit einer moralischen Überzeugung zu der besten Erklärung dafür steht, warum wir die Überzeugungen haben, die wir haben. Im fünften Kapitel schließlich gehe ich auf die bei weitem gefährlichste Form des Skeptizismus ein – den globalen internen Skeptizismus.
53 Die gewöhnliche Sichtweise
Jemand, der Babys mit Nadeln sticht, weil er es genießt, sie schreien zu hören, ist moralisch verkommen. Dem würden Sie doch zustimmen, oder? Und wahrscheinlich haben Sie zudem viele andere Ansichten darüber, was richtig und was falsch ist, die etwas kontroverser sind. Vielleicht halten Sie das Foltern von Terrorverdächtigen für moralisch falsch; vielleicht auch nicht, und möglicherweise halten Sie es sogar für moralisch geboten. Auch wenn es Ihnen unter Umständen plausibler erscheint, Ihre Ansichten nicht als wahr, sondern als richtig oder korrekt zu bezeichnen, glauben Sie, daß in ihnen die Wahrheit zum Ausdruck kommt und daß Menschen, die anderer Meinung sind, falschliegen. Ich vermute, Sie glauben außerdem, daß es auch dann falsch wäre, Babys mit Nadeln zu stechen oder Terroristen zu foltern, wenn faktisch niemand etwas dagegen einzuwenden hätte oder niemand diese Dinge für abstoßend halten würde, Sie selbst eingeschlossen. Mit anderen Worten, Sie denken wahrscheinlich, daß die Wahrheit Ihrer moralischen Überzeugungen nicht davon abhängt, was irgend jemand denkt oder fühlt. Vielleicht drücken Sie diesen Gedanken aus, indem Sie sagen, Babys zum Spaß zu quälen, sei »wirklich« oder »objektiv« böse. Diese Einstellung zur Frage moralischer Wahrheit – daß zumindest manche moralischen Ansichten in diesem Sinne objektiv wahr sind – ist sehr verbreitet und darum werde ich sie als die »gewöhnliche« Sichtweise bezeichnen.
Zu dieser Sichtweise gehören außerdem weitere Überzeugungen, von denen einige negativ sind. So sind Sie wahrscheinlich der Ansicht, daß die Verwerflichkeit des Folterns von Babys oder Terroristen nicht einfach wissenschaftlich festgestellt werden kann. Sie glauben nicht, mit Hilfe experimenteller Daten und anderer Beobachtungen beweisen oder auch nur plausibilisieren zu können, daß Ihre dahingehende Überzeugung stichhaltig ist. Natürlich könnten Sie aufzeigen, welche Konsequenzen es hat, Babys zu quälen;
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