Gerechtigkeit fuer Igel
absurd zu debattieren, wie viele zugleich auf einer Nadelspitze sitzen können, und genauso sinnlos wäre es zu erörtern, ob Selbstaufopferung erstrebenswert ist, ohne zunächst zu fragen, ob es so etwas wie das Gute überhaupt gibt, und wenn ja, um was für eine Art von Ding es sich dabei handelt.
Können Meinungen in Wertfragen, wie etwa die, daß Diebstahl falsch ist, wirklich wahr oder falsch sein? Und wenn ja, wie sind die relevanten Wahrheitsbedingungen beschaffen? Woher kommen die entsprechenden Werte? Von Gott? Was aber, wenn es keinen Gott gibt? Ist es möglich, daß Werte einfach da draußen vorhanden sind und zu dem gehören, was letztendlich wirklich existiert? Und wenn ja, wie können wir Menschen dann mit ihnen in Kontakt stehen ? Angenommen, bestimmte Werturteile sind tatsächlich wahr (oder falsch); wie können wir Menschen erkennen, welche das sind? Selbst enge Freunde sind sich nicht immer einig, was richtig und was falsch ist, und von Menschen anderer Kulturen oder Zeitalter sind wir natürlich noch weiter entfernt. Wie können wir behaupten, daß wir
48 recht haben und alle anderen einfach falschliegen, ohne daß dieser Gedanke in sehr unguter Weise arrogant ist? Von welchem neutralen Standpunkt aus ließe sich die Wahrheitsfrage letztgültig prüfen und entscheiden?
Unsere Werturteile einfach ein weiteres Mal zu artikulieren, ist keine angemessene Antwort auf diese Fragen; darauf zu beharren, daß es so etwas wie Falschheit oder Verwerflichkeit in unserer Welt geben muß, da es falsch ist, zum Spaß Babys zu foltern, bringt uns nicht weiter. Ebensowenig hilft es zu behaupten, wir stünden in Kontakt mit der moralischen Wahrheit, da wir ja wüßten, daß es falsch ist, Babys zu foltern. Wir würden das zu Beweisende voraussetzen, da es nicht falsch wäre, wenn so etwas wie Falschheit nicht existiert, und ich nicht wissen kann, ob es wirklich verwerflich ist, Babys zu foltern, ohne in irgendeiner Weise Zugang zur Wahrheit über die Verwerflichkeit zu haben. Bei diesen tiefgründigen philosophischen Fragen über das Wesen des Universums oder den Status von Werturteilen geht es nicht darum, was gut oder schlecht, richtig oder falsch, wunderbar oder häßlich ist. Sie gehören nicht zur alltäglichen Beschäftigung mit Ethik, Moral oder Ästhetik, sondern sind Teil eines ›technischeren‹ Bereichs der Philosophie, etwa der Metaphysik, der Epistemologie oder der Sprachphilosophie. Deswegen ist es wichtig, zwischen zwei sehr unterschiedlichen Arten von Fragen in der Moralphilosophie zu unterscheiden: zum einen normalen substantiellen Fragen erster Ordnung darüber, was genau gut oder schlecht, richtig oder falsch ist, die ein Werturteil erfordern, und zum anderen philosophischen, ›metaethischen‹ Fragen zweiter Ordnung über diese Werturteile; um letztere zu beantworten, greifen wir nicht auf weitere Werturteile zurück, sondern auf philosophische Theorien einer anderen Art.«
Ich muß mich entschuldigen. Diese drei einführenden Absätze waren nicht ernst gemeint, und ich glaube kein Wort von dem, was ich gerade in Anführungszeichen gesetzt habe. Es ging mir darum, eine philosophische Sichtweise vorzustellen, die
49 dem Fuchs gefallen würde und die meines Erachtens einem korrekten Verständnis der in diesem Buch diskutierten Themen im Wege steht. Im ersten Kapitel habe ich bereits eine alternative Position vorgeschlagen, der zufolge die Moral und andere Wertsphären philosophisch unabhängig sind. Die Antworten auf alle großen Fragen über moralische Wahrheit und moralisches Wissen sind stets in ebenjenen Sphären selbst zu finden und nicht außerhalb von ihnen. Eine Theorie der Wahrheit von Werten muß Teil einer jeden substantiellen Theorie der Werte sein, anstatt von ihr vorausgesetzt zu werden.
Daß es in Wertfragen um Wahrheit geht, ist eine offensichtliche Tatsache, der wir nicht aus dem Weg gehen können. Wenn wir gezwungen sind, uns für oder gegen etwas zu entscheiden, sind wir unausweichlich mit der Frage konfrontiert, für was wir uns entscheiden sollen. Um sie zu beantworten, müssen wir auf Gründe rekurrieren, die für bestimmte Handlungsoptionen sprechen. Weil diese Fragestellung begrifflich ebendies und nichts anderes verlangt, können wir sie nicht anders beantworten. Zweifellos lautet die beste Antwort in manchen Fällen, daß keine der konkreten Alternativen wirklich besser ist als die anderen, und es gibt bedauernswerte Menschen, die glauben, die sehr dramatische
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