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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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denken Sie an die daraus
54 entstehenden körperlichen und psychischen Schäden. Daß es falsch wäre, diese Konsequenzen herbeizuführen, können Sie aber nicht auf diese Weise belegen. Um das zu begründen, benötigen Sie ein moralisches Argument, und das können Sie sich nicht auf wissenschaftlichem oder empirischem Weg beschaffen. Natürlich müssen Sie nicht mit sich selbst oder anderen in einen moralischen Begründungsprozeß einsteigen, bevor Sie eine moralische Meinung bilden. Sie sehen bestimmte Handlungen einfach als falsch an oder erkennen, daß sie falsch sind, und zwar in Form einer unmittelbaren Reaktion, wenn Sie mit ihnen konfrontiert werden oder sie sich vorstellen. Dieses besondere »Sehen« halten Sie aber nicht in derselben Weise für einen Beleg bestimmter Tatsachen wie das Sehen im üblichen Sinn. Wenn Sie einen Menschen durch ein Fenster in ein Haus einbrechen sehen, können Sie diese Beobachtung als Grund anführen, warum man die Polizei rufen sollte. Hingegen würden Sie die Tatsache, daß Sie persönlich den Irakkrieg als verwerfliches Unterfangen wahrnehmen, nicht einfach als Grund anführen, warum andere, die anderer Meinung sind, ihre Position ändern sollten. Es ist recht offensichtlich, worin sich diese Fälle unterscheiden. Der Einbrecher hat durch sein Zertrümmern der Fensterscheibe Ihre Beobachtung dieser Handlung verursacht, und darum ist Ihre Beobachtung ein Beleg dafür, daß er das Fenster tatsächlich eingeschlagen hat. Hingegen wäre es absurd zu denken, daß die Verwerflichkeit des Irakkriegs irgendwie Ihre Ansicht verursacht hat, daß dieser Krieg falsch ist. Sie haben dieses Urteil auf der Basis Ihrer Überzeugungen, Ihrer Bildung und Ihrer persönlichen Erfahrungen gefällt. Wenn Sie es nun verteidigen oder noch einmal genauer überdenken wollen, genügt es nicht, auf Ihre Wahrnehmung der Situation zu verweisen. Um das zu tun, müßten Sie in irgendeiner Form eine moralische Argumentation ausarbeiten.
    Sie fänden es sicher befremdlich, wenn jemand behaupten würde, daß Sie mit Ihren moralischen Urteilen nicht wirklich etwas aussagen, daß Sie nur Ihren Gefühlen Luft machen, eine
55 persönliche Haltung zum Ausdruck bringen oder Ihre Pläne hinsichtlich Ihrer persönlichen Lebensgestaltung artikulieren und es daher ein Fehler wäre, entsprechende Äußerungen auch nur für wahrheitsfähig zu halten. Wahrscheinlich würden Sie durchaus einräumen, daß zumindest manche dieser Beschreibungen durchaus auf Ihre Äußerungen über Folter zutreffen, denn wenn diese ernst gemeint sind, kommen in ihnen ein gefühlter Widerstand gegen das Foltern zum Ausdruck und vielleicht auch bestimmte allgemeinere moralische Einstellungen. Das heißt aber nicht, daß all diese Reaktionen anstelle eines entsprechenden Urteils geschehen, sondern daß sie sich eben gerade in jenem Urteil manifestieren. Selbst wenn Sie es nicht ernst meinen und nur vorgeben, entsprechende Emotionen und Überzeugungen zu haben, haben Sie nichtsdestotrotz eine entsprechende Aussage gemacht, die selbst dann richtig sein kann, wenn Sie selbst nicht daran glauben.
    Es gehört zur gewöhnlichen Sichtweise, moralische Urteile ernst zu nehmen. Wenn der Irakkrieg moralisch falsch war, dann ist es eine Tatsache, daß er falsch war – also etwas, das der Fall ist. Der gewöhnlichen Sichtweise zufolge hieße das, daß der Krieg wirklich falsch war. Wenn Sie etwas dramatisch veranlagt und der Ansicht sind, daß jeder Krieg mit dem Ziel, eine Regierung zu stürzen, unmoralisch ist, könnten Sie sagen, daß es sich bei der Verwerflichkeit solcher Kriege um eine feststehende, ewige Eigenschaft des Universums handelt. Außerdem würden Vertreter dieser Sichtweise zum Beispiel die Überzeugung, daß Betrug falsch ist, für einen wichtigen Grund halten, nicht zu betrügen, und Menschen, die das doch tun, dafür zu kritisieren. Eine Handlung für moralisch falsch zu halten ist aber nicht dasselbe, wie sie nicht ausführen zu wollen, denn es handelt sich dabei um ein Urteil und nicht um ein Motiv. Der gewöhnlichen Sichtweise zufolge sind allgemeine Fragen über die Grundlagen der Moral selbst moralischer Natur – etwa die Frage, was ein bestimmtes moralisches Urteil wahr macht. Ist Gott die Quelle aller Moral? Kann etwas falsch sein,
56 wenn jeder es für richtig hält? Ist Moral kulturell und historisch relativ? Kann etwas in einem bestimmten Land oder unter bestimmten Umständen richtig sein, in anderen aber falsch? Obwohl

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