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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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diese Fragen abstrakt und theoretisch sind, gehören sie zum Bereich der Moral und wir müssen sie ebenso wie alle anderen alltäglicheren Fragen darüber, was richtig und falsch ist, auf der Grundlage unseres Gewissens und unserer moralischen Überzeugungen beantworten.
    Bedenken
    Die eben beschriebenen Ansichten und Annahmen bilden gemeinsam das, was ich hier als die gewöhnliche Sichtweise beschreibe, und ich gehe davon aus, daß die meisten Menschen ihr mehr oder weniger unreflektiert anhängen. Wenn Sie aber philosophisch veranlagt sind, kann es sein, daß Sie sich mit dieser Haltung nicht ganz wohl fühlen, weil es Ihnen möglicherweise schwerfällt, den von mir eingangs in Anführungszeichen präsentierten philosophischen Herausforderungen etwas entgegenzusetzen. Ihre Bedenken können zum einen mit der Frage zu tun haben, was für Entitäten oder Eigenschaften wir plausiblerweise in unserem Universum vermuten können. Ob eine Aussage über die physikalische Welt wahr ist hängt davon ab, wie diese Welt beschaffen ist – von ihren Kontinenten, Quarks und dispositionalen Eigenschaften. Uns stehen über den tatsächlichen Zustand der Welt eine ungeheure Menge von Daten zur Verfügung, von denen wir einen signifikanten Teil systematischer Beobachtung und wissenschaftlichen Instrumenten zu verdanken haben. Auch wenn man auf diese Daten als Argumente für unsere Auffassungen über die physikalische Welt verweisen kann, hängt es letztendlich von dieser Welt selbst ab, etwa von dem tatsächlichen Verhalten der Quarks und nicht von unseren Daten, ob unsere Meinungen wirklich richtig oder falsch sind. Auch wenn unsere Daten noch so aussagekräftig sind,
57 kann es sein, daß die Schlüsse, die wir aus ihnen ziehen, falsch sind, weil die Welt einfach rein faktisch nicht so ist, wie wir glaubten, es bewiesen zu haben.
    Versuchen wir nun, diese bekannten Unterscheidungen auf unsere moralischen Überzeugungen anzuwenden, geraten wir in Schwierigkeiten. Wie sind moralische Tatsachen beschaffen? Der gewöhnlichen Sichtweise zufolge können moralische Urteile weder durch historische Ereignisse noch durch unsere Ansichten und Gefühle, noch durch sonst irgendwelche Phänomene der physikalischen oder mentalen Welt wahr gemacht werden. Aber was ist denn nun wirklich für ihre Wahrheit verantwortlich? Wenn Sie den Irakkrieg für unmoralisch halten, können Sie auf verschiedenste historische Fakten hinweisen, die diese Meinung Ihres Erachtens rechtfertigen – zum Beispiel darauf, daß das von diesem Krieg verursachte enorme Leid abzusehen war oder daß er auf der Grundlage offensichtlich unzulänglicher Informationen begonnen wurde. Daß die Wahrheit Ihrer moralischen Überzeugung ebenso von der spezifischen Beschaffenheit der Welt abhängt – zum Beispiel davon, daß die relevanten Moronen auf eine bestimmte Weise konfiguriert sind – wie die Richtigkeit Ihrer Ansichten über die physikalische Welt vom Verhalten der entsprechenden physikalischen Teilchen, scheint nicht sehr plausibel zu sein. Es ist schwer vorstellbar, daß Ihre moralischen Äußerungen Belege für eine bestimmte Beschaffenheit der Welt sind.
    Dazu kommt noch ein zweites, scheinbar separates Problem: Wir müssen erklären, wie Menschen moralische Urteile als wahr erkennen oder zumindest gerechtfertigte Meinungen in diesem Zusammenhang entwickeln können. Der gewöhnlichen Sichtweise zufolge werden sie sich dieser Tatsachen nicht auf dieselbe Weise bewußt wie physikalischer Fakten. Jene wirken auf den menschlichen Geist ein, indem wir sie oder zumindest Indizien ihres Vorhandenseins wahrnehmen. In der Kosmologie wird davon ausgegangen, daß die mit Hilfe riesiger Radioteleskope gemachten Beobachtungen auf uralte Strahlen von den Rändern
58 des Universums zurückzuführen sind. Kardiologen wissen, daß die konkrete Linie eines Elektrokardiogramms kausal durch den Herzschlag verursacht wird. Der gewöhnlichen Sichtweise zufolge können moralische Tatsachen aber keine mentalen Repräsentationen entstehen lassen, da sie nicht auf dieselbe Weise wahrnehmbar sind wie zum Beispiel Farben. Wie können wir angesichts dessen mit der moralischen Wahrheit »in Kontakt stehen«? Wie kann man begründen, daß all jene Ereignisse, die wir unter Umständen argumentativ für unsere Position zum Irakkrieg anführen wollen, tatsächlich relevant dafür sind, ob dieser Krieg moralisch gerechtfertigt war oder nicht?
    In den letzten Jahrhunderten haben diese beiden großen

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