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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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Fragen, und einige andere, die ich später noch ansprechen werde, große Gelehrte und Philosophen dazu veranlaßt, verschiedene Aspekte der gewöhnlichen Sichtweise abzulehnen. Diese ablehnende Haltung werde ich im folgenden als Skeptizismus bezeichnen und darunter alle Ansätze versammeln, denen zufolge moralische Urteile nicht objektiv wahr sein können – also wahr unabhängig von den Einstellungen oder Meinungen bestimmter Personen. Eine eher schlichte Form des Skeptizismus, die oft »Postmodernismus« genannt wird, ist an jenen Instituten westlicher Universitäten sehr verbreitet, denen ein gewisses Selbstbewußtsein abgeht, etwa in der Kunstgeschichte, der Vergleichenden Literaturwissenschaft und der Anthropologie, und eine Zeitlang auch an juristischen Fakultäten.
 3 Den Anhängern dieser Tradition zufolge sind selbst jene moralischen Positionen, von denen wir am meisten überzeugt sind, nur Ausdruck einer Ideologie, nur Statussymbole, nur den Regeln des lokalen Sprachspiels geschuldet, das sich zufällig durchgesetzt hat. Wie wir jedoch sehen werden, wurden in der Philosophie sehr viel komplexere und einfallsreichere Formen des Skeptizismus entwickelt. Im Rest dieses Kapitels will ich nun die verschiedenen Spielarten des philosophischen Skeptizismus im Bereich der Moral voneinander abgrenzen, um dann in den übrigen Kapiteln des ersten Teils im einzelnen auf sie einzugehen.
    59 Zwei wichtige Unterscheidungen
    Interner und externer Skeptizismus
    Mit zwei Unterscheidungen will ich mich an dieser Stelle näher befassen, weil sie für meine Argumentation im weiteren von wesentlicher Bedeutung sind. Erstens müssen wir im Bereich der Moral zwischen internem und externem Skeptizismus unterscheiden. Ich gehe davon aus, daß unsere moralischen Überzeugungen jeweils ein zumindest lose zusammenhängendes Set oder System von ineinandergreifenden Aussagen mit einem identifizierbaren Inhalt bilden: Menschen haben mal mehr, mal weniger abstrakte Überzeugungen bezüglich dessen, was richtig oder falsch, gut oder böse, wertvoll oder wertlos ist. Wenn wir uns über eine moralische Frage den Kopf zerbrechen, können wir auf diese vielfältigen Überzeugungen zurückgreifen, etwa indem wir eher abstrakte und allgemeine Überzeugungen heranziehen, um konkretere Urteile darüber zu überprüfen, was wir tun oder denken sollen. Nehmen wir an, eine unglücklich verheiratete Frau zieht eine Scheidung in Erwägung und fragt sich, ob eine solche Entscheidung moralisch zu vertreten wäre. Möglicherweise denkt sie dabei allgemeiner darüber nach, was man einem Menschen schuldet, den man um sein Vertrauen gebeten hat, und was aus der moralischen Verantwortung folgt, die man seinen Kindern gegenüber hat. All das könnte sie dann gegen andere, vielleicht konkurrierende Gesichtspunkte abwägen, indem sie zum Beispiel in Betracht zieht, inwiefern man es sich selbst schuldet, etwas aus dem eigenen Leben zu machen, oder ob sie anderen Menschen gegenüber ebenfalls wichtige Verpflichtungen eingegangen ist. Diese Art des Nachdenkens kann als moralintern betrachtet werden, weil beansprucht wird, aus recht allgemeinen Überzeugungen, die selbst moralischer Natur sind und moralische Fragen betreffen, ein konkretes moralisches Urteil abzuleiten. Natürlich werden im Rahmen solcher moralischer Abwägungen auch nichtmoralische Tatsachen in
60 Anschlag gebracht, in diesem Fall zum Beispiel die Auswirkungen einer Scheidung auf das Wohl der Kinder. Auf solche Fakten wird aber nur Bezug genommen, um die konkreten Implikationen eher allgemeiner moralischer Aussagen herauszuarbeiten.
    Alternativ können wir uns jedoch auch von unseren moralischen Überzeugungen insgesamt distanzieren und auf sehr grundsätzliche Weise über sie nachdenken. Anstatt intern darüber nachzudenken, was tatsächlich moralischen Wert hat, können wir auch externe Fragen über unsere eigenen moralischen Werte oder die anderer Menschen aufwerfen. Denken Sie hier etwa an sozialwissenschaftliche Fragestellungen wie die, ob wirtschaftliche oder andere Faktoren erklären, warum wir zu bestimmten moralischen Überzeugungen neigen, die von Menschen aus anderen Kulturen mit anderen Lebensbedingungen abgelehnt werden. Eine solche Unterscheidung zwischen internen und externen Fragen kann mit Bezug auf jedes Ideensystem getroffen werden. Wir unterscheiden zwischen mathematischen Aussagen, die der Mathematik intern sind, und solchen, die sich auf die Praxis der Mathematik beziehen.

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