Gerechtigkeit fuer Igel
man beinahe global nennen, da nur kontrafaktische moralische Aussagen als wahr akzeptiert werden. Die weiter oben bereits kurz erwähnte Ansicht, nichts sei moralisch richtig oder falsch, weil es keinen Gott gebe, ist zum Beispiel sehr verbreitet. Diese Variante des globalen internen Skeptizismus gründet in der moralischen Überzeugung, daß der Wille eines übernatürlichen Wesens die einzig mögliche Grundlage positiver Moral ist. Auch der modernere Gedanke, Moral sei bedeutungslos, weil unser Verhalten vollkommen durch vergangene Ereignisse bestimmt werde, die außerhalb unserer Kontrolle liegen, ist eine Variante des internen Skeptizismus und beruht auf der moralischen Überzeugung, daß es unfair ist, Menschen etwas vorzuwerfen oder sie für etwas verantwortlich zu machen, das sie nicht hätten vermeiden können. (Im zehnten Kapitel werde ich näher auf diesen ziemlich verbreiteten Gedanken eingehen.) Das Argument, daß universelle moralische Urteile grundsätzlich nicht stichhaltig sind, weil Moral stets relativ zu bestimmten Kulturen sei, ist gegenwärtig ebenfalls sehr beliebt. Auch hier handelt es sich um eine interne Form des Skeptizismus, da angenommen wird, daß moralische Urteile allein den Praktiken konkreter Gemeinschaften entspringen können. Vertreter einer weiteren Version des globalen internen Skeptizismus erklären, daß wir Menschen verschwindend kleine und flüchtige Teile eines unermeßlich großen und dauerhaften Universums sind und unser faktisches Handeln daher unmöglich einen Unterschied machen könne – weder moralisch gesehen noch in irgendeiner anderer Hinsicht.
7 Die moralischen Überzeugungen, auf die sich die Vertreter all dieser Varianten des globalen internen Skeptizismus berufen, sind zwar kontrafaktisch – es wird behauptet, daß all die kritisierten positiven moralischen Aussagen Gültigkeit besäßen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt wären: wenn es einen Gott gäbe, wenn alle Kulturen dieselben Sitten hätten, wenn das Universum sehr viel kleiner wäre –, nichtsdestotrotz handelt es sich dabei aber um substantielle moralische Urteile.
66 Auf meine Kritik am internen Skeptizismus will ich hier noch nicht eingehen. Keine der eben angesprochenen Versionen jenes Ansatzes widerspricht dem Gedanken, um den es mir hier geht, nämlich, daß es sich bei den philosophischen Infragestellungen der Wahrheit moralischer Aussagen selbst um substantielle moralische Urteile handelt. Daß moralische Urteile wahrheitsfähig sind, ist mit dem internen Skeptizismus nicht nur vereinbar, sondern wird von ihm sogar vorausgesetzt. Weil aber meine positiven Thesen zur persönlichen und politischen Moral nicht damit vereinbar sind, daß eine jener Theorien korrekt ist, werde ich in späteren Kapiteln noch einmal ausführlich auf diese Form des Skeptizismus zurückkommen. Lassen Sie mich an dieser Stelle jedoch bereits auf die wichtige und oft übersehene Unterscheidung zwischen internem Skeptizismus und Ungewißheit hinweisen. Es ist zum Beispiel denkbar, daß ich nicht sicher bin, ob Abtreibungen falsch sind, weil mir die Argumente dafür ebenso plausibel erscheinen wie die dagegen und ich nicht sagen kann, ob eine Seite (wenn überhaupt) überzeugender ist als die andere. Diese Ungewißheit darf aber nicht mit Skeptizismus verwechselt werden. Sie ist vielmehr eine Art Grundeinstellung: Wenn mich die Argumente keiner Seite wirklich überzeugen, bin ich mir unsicher. Beim Skeptizismus handelt es sich aber nicht um eine Grundeinstellung, denn um etwa die skeptische These zu rechtfertigen, daß Abtreibung nichts mit Moral zu tun hat, benötige ich ein ebenso starkes Argument wie für jede alternative positive Position. Auf diese wichtige Unterscheidung von Skeptizismus und Ungewißheit werde ich im fünften Kapitel zurückkommen.
Warum ist der Statusskeptizismus so attraktiv?
Beide Spielarten des externen Skeptizismus – der Fehler- und der Statusskeptizismus – unterscheiden sich von den biologischen und sozialwissenschaftlichen Theorien, die ich bereits
67 kurz angesprochen habe. So sind etwa neodarwinistische Theorien über die evolutionären Ursprünge moralischer Überzeugungen und Institutionen der Moral extern, aber keineswegs skeptisch. Es ist durchaus möglich, ohne Selbstwiderspruch die folgenden Ansichten zu vertreten: daß erstens in den Savannen der Urzeit eine angeborene Abneigung gegen Mord evolutionär von Vorteil war, daß zweitens diese Tatsache eine wichtige Rolle
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