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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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verwendet werden können, um eine andere Person zu retten. Dann wäre er es, der entscheidet, was am besten mit seinem Leben geschehen soll: daß es verwendet wird, um ein anderes Leben zu retten. Wir könnten diese Entscheidung begrüßen – oder auch nicht, wenn wir der Ansicht sind, daß es schlecht ist, wenn ein Leben früher als notwendig endet, und daß es für den jungen Patienten weniger schlimm gewesen wäre, einen frühen natürlichen Tod zu sterben, als es für den alten Mann ist, sein eigenes Leben auf diese Weise zu nehmen oder aufzugeben.
13 Was immer wir von der Entscheidung letztlich halten, sie fällt jedenfalls voll und ganz in die Verantwortlichkeit des Patienten, die niemand ihm zu nehmen befugt ist, selbst wenn damit ein besseres Gesamtergebnis erzielt werden könnte. Auch das folgt aus den hier vertretenen Überzeugungen über die Reichweite der Menschenwürde.
    Noch mehr bizarre Fälle
    Daß diese Beispiele außerordentlich konstruiert sind, ist nicht zu leugnen. Kann die Unterscheidung zwischen Konkurrenzschaden und absichtlicher Schädigung wirklich dermaßen wichtig sein, wenn letztlich unabhängig davon, wie wir den Fall beschreiben, die betreffenden Menschen sterben? Ja. Philosophen können Beispiele erfinden, die ein jedes Prinzip und eine jede Unterscheidung als willkürlich erscheinen lassen, aber wenn man sie richtig einsetzt, können jene Beispiele ebenso zu einer Überprüfung unserer Prinzipien beitragen, wie hypothetische Fälle im Bereich des Recht. Wie ich im zwölften Kapitel bemerkt habe, spricht es nicht unbedingt gegen ein bestimmtes Prinzip, wenn es in einem bizarren erfundenen Fall zu einem Ergebnis führt, das uns nicht unmittelbar richtig erscheint, oder wenn es uns zwar richtig, aber willkürlich vorkommt. Für unsere interpretativen Bestrebungen genügt es,
504 wenn wir nach reiflicher Überlegung nicht mit Sicherheit sagen können, daß es falsch ist. Die Prinzipien der Würde – das Prinzip, daß Menschen eine souveräne Kontrolle darüber haben müssen, was mit ihren Körpern geschieht – sind nicht deshalb überzeugend, weil sie in verrückten Fällen mit Straßenbahnwägen zu scheinbar intuitiv richtigen Urteilen führen. Es verhält sich genau andersherum: Das Urteil, zu dem sie in diesen Fällen führen, erscheint uns als intuitiv richtig, weil uns diese Prinzipien in der gesellschaftlichen und politischen Alltagspraxis überzeugen, wo sie dazu beitragen, Ethik und Moral miteinander zu versöhnen. Wir verwenden jene bizarren ausgedachten Fälle, um sie zu überprüfen, und da sie nicht zu Ergebnissen führen, die wir für falsch halten müssen, bestehen sie den Test. Die meisten Studierenden in philosophischen Seminaren halten es anscheinend für richtig oder zumindest nicht für falsch, den Straßenbahnwagen auf das andere Gleis umzulenken und damit die Einzelperson zum Tod zu verurteilen, um das Leben der fünf anderen zu retten; sie halten es aber für falsch, den übergewichtigen Passanten auf das Gleis zu stoßen.
    Es stimmt, daß sich philosophische Experten für dieses Gedankenexperiment Variationen ausgedacht haben, bei denen es nicht zu einer solchen Übereinstimmung kommt.
14 Nehmen wir noch einmal an, daß fünf Menschen an das Gleis des Straßenbahnwagens gefesselt sind und daß der Wagen auf ein zweites Gleis umgeleitet werden kann, an das nur eine Einzelperson gefesselt ist. In dieser Variante führt das zweite Gleis wieder zurück auf das erste und bildet mit diesem einen Kreis, an dessen mittlerem Punkt sich die fünf Unglücksraben befinden. In diesem Fall ist der Tod der Einzelperson ein für die Rettung der fünf Menschen notwendiges Mittel. Wenn die Einzelperson nicht da wäre und den Wagen aufhalten würde, würden die fünf Menschen sowieso und genausoschnell sterben, nur würde der Wagen aus der anderen Richtung kommen. Nun könnte man der Ansicht sein (oder auch nicht), daß die Umleitung des Wagens ein Urteil darüber voraussetzt, was am besten mit dem
505 Leben der Einzelperson geschehen sollte. Die Reaktionen der Studierenden scheinen davon abzuhängen, ob sie die vorgeschlagene Umleitung als eine verstehen, die von den fünf Menschen wegführt, oder als eine, die auf eine als Hindernis dienende Person hinführt. Vielleicht macht es auch einen Unterschied, ob man zuerst mit dem einfacheren Fall konfrontiert ist und dann mit dem verrückteren Fall der im Kreis verlaufenden Gleise oder andersherum. In jedem Fall erscheint keine der

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