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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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grundlegenderes Recht verfügen. Sie haben nämlich das Recht, gemäß einer in den entsprechenden Debatten vorausgesetzten und in ihnen reflektierten Einstellung behandelt zu werden. Mit anderen Worten: Sie haben ein Recht, als ein Mensch behandelt zu werden, dessen Würde von fundamentaler Bedeutung ist.
    567 Dieses abstraktere Recht – das Recht, daß Ihnen mit einer bestimmten Einstellung begegnet wird – ist das grundlegende Menschenrecht. Eine Regierung kann dieses Menschenrecht selbst dann noch respektieren, wenn sie nicht imstande ist, ein adäquates Verständnis der konkreteren politischen Rechte auszubilden – selbst dann also, wenn etwa ihr Steuersystem von uns für ungerecht gehalten wird. Wir arbeiten dieses Menschenrecht im Rahmen der interpretativen Fragestellung, die wir in unseren Erörterungen zur Legitimität umrissen haben, heraus und setzen es zugleich ein. Die Frage lautet also: Können die Gesetze und politischen Maßnahmen einer bestimmten politischen Gemeinschaft mit guten Gründen als – wenn auch vielleicht letztlich gescheiterter – Versuch verstanden werden, die Würde der ihrer Macht Unterworfenen zu achten? Oder müssen zumindest einige der betreffenden Gesetze und Maßnahmen als Zurückweisung ihrer Verantwortlichkeiten gegenüber ihren Bürgern insgesamt oder einer Gruppe von ihnen aufgefaßt werden? Wenn letzteres der Fall ist, verletzen diese Gesetze und Maßnahmen ein Menschenrecht.
    Diese Unterscheidung zwischen Menschenrechten und anderen politischen Rechten ist von weitreichender praktischer und theoretischer Bedeutung, weil sie bloße Fehler von einem Mangel an Respekt unterscheidet. Lassen Sie mich betonen, daß dieser Test interpretativ ist und daher nicht einfach durch eine nationale Absichtserklärung bestanden werden kann. Vielmehr ist es erforderlich, daß sich das Regierungshandeln insgesamt mit Bezug auf eine nachvollziehbare, wenn auch vielleicht nicht völlig überzeugende Konzeption dessen verteidigen läßt, was von unseren beiden Prinzipien der Würde gefordert wird. Staaten werden sich natürlich ebenso wie Juristen darüber uneins sein, wie und wo diese Linie gezogen werden sollte. Aber einige Urteile – diejenigen, die dem weltweiten Konsens über die grundlegendsten Menschenrechte entsprechen – werden ziemlich klar auf der Hand liegen.
 6 Nichts könnte eine offenkundigere Verletzung des ersten Prinzips
568 der Würde darstellen als Handlungen, die Ausdruck unverhohlener Vorurteile sind – etwa der Annahme, daß eine Kaste einer anderen, Gläubige Ungläubigen, Arier Semiten oder Weiße Schwarzen überlegen sind. Die furchtbarste Manifestation solcher Einstellungen sind Völkermorde. Manchmal ist die Mißachtung aber auch von persönlicherer Art: Menschen in Machtpositionen erniedrigen, vergewaltigen oder foltern ihre Opfer, um ihrer Mißachtung Ausdruck zu verleihen oder einfach nur aus Spaß, was aber auf dasselbe hinausläuft. Kein Staat, der annimmt, daß manche Menschen einer minderwertigen ethnischen Gruppe angehören, oder der stillschweigend duldet, daß Menschen zum Vergnügen anderer erniedrigt oder gefoltert werden, kann für sich in Anspruch nehmen, eine nachvollziehbare Konzeption der Menschenwürde anzuerkennen.
    Lassen Sie uns nun einen kurzen Blick auf das zweite Prinzip werfen, dem zufolge Individuen eine persönliche Verantwortung haben, für sich selbst zu bestimmen, was ein erfolgreiches Leben ausmachen würde. Dieses Prinzip stützt die traditionellen liberalen Rechte der Freiheit der Meinungsäußerung, des Gewissens, der politischen Tätigkeit und der Religion, die in so gut wie allen Menschenrechtskonventionen enthalten sind. Verschiedene Staaten und Kulturen haben unterschiedliche Ansichten darüber, wie diese liberalen Rechte genau definiert und geschützt werden sollten, und auch innerhalb einzelner Gesellschaften ist das, was wir als »Oberflächenpaternalismus« bezeichnen könnten, kontrovers. Die meisten von uns sind der Auffassung, daß eine bis in die späte Jugend reichende Schulpflicht und die Anschnallpflicht zulässige Formen von Paternalismus darstellen, weil erstere die Fähigkeit einer Person, für ihr eigenes Leben Verantwortung zu übernehmen, ohne Zweifel nicht schwächt, sondern stärkt, und letztere Menschen zu etwas verhilft, was sie abgesehen von Momenten eingestandener Schwäche eigentlich selber wollen. Manche Gesellschaften sind noch in anderen Hinsichten paternalistisch, aber das verletzt die

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