Gerechtigkeit fuer Igel
geben wird; daß dieser Gott das Universum und alle Lebensformen in ihm erschaffen hat; daß er die Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat; daß er zudem ein allmächtiger Schöpfer und Zerstörer ist; und daß er allwissend ist und alles vorhersehen kann. Natürlich ist mir bewußt, daß viele Menschen, die sich als religiös erachten, dieses traditionelle Bild nicht teilen. Sie bringen ihren Glauben auf andere und in meinen Augen etwas rätselhafte Weise zum Ausdruck: etwa in den im neunten Kapitel genannten Aussagen, daß eine höhere Kraft im Universum wirkt, daß das Universum etwas umfaßt, das größer ist als wir, oder daß wir die göttliche Natur nur wie ein dunkles Bild in einem Spiegel sehen und daher keinen
576 anthropomorphen Gott annehmen dürfen, nach dessen Bild wir geformt wurden. Es kommt meiner Argumentation aber an dieser Stelle eher entgegen, eine traditionelle übernatürliche Kosmologie vorauszusetzen.
Über das Gute oder die Moral habe ich in meiner kruden Charakterisierung dieses Gottes bisher nichts gesagt. Ich habe angenommen, daß es sich um einen allmächtigen Schöpfergott handelt, aber weder behauptet noch bestritten, daß dieser Gott gut ist – oder daß ihm moralische Autorität zukommt, was bedeuten würde, daß seine Gebote uns echte moralische Verpflichtungen auferlegen. Natürlich schreiben die abrahamitischen Religionen ihrem Gott neben Allmacht und Allwissenheit auch moralische Tugend und Autorität zu, aber ich möchte diese beiden Komponenten der umfassenden religiösen Sichtweise gerne voneinander trennen. Religionen haben normalerweise zwei Teile: einen kosmologischen und einen evaluativen. Sie stellen also zum einen eine Antwort auf die Frage dar, was es gibt und warum. Wie ist die Welt und alles, was sie umfaßt, das menschliche und das nichtmenschliche Leben eingeschlossen, entstanden? Was oder wer bestimmt, wie sich die Welt entwickelt? Gibt es eine Seele? Wenn ja, was geschieht mit ihr nach dem Tod? Zweitens geben Religionen auch – unabhängig davon – Antworten auf die Frage, was es geben sollte und warum. Was ist richtig und was falsch? Was wichtig und was unwichtig? Was muß ich mit meinem Leben anfangen? Wann muß ich zum Beispiel mein Leben opfern? Wie muß ich andere Menschen behandeln? Wann, wenn überhaupt, darf oder soll ich töten?
Viele Theologen und manche Philosophen halten eine solche Unterscheidung zwischen zwei Bereichen der Religion für illegitim. Ihres Erachtens ist es ein Wesensmerkmal Gottes, gut zu sein, so daß es unmöglich ist, sich seine unermeßliche Macht ohne seine Güte vorzustellen. In manchen Versionen des immer noch wirkungsmächtigen ontologischen Gottesbeweises wird die Güte als eine notwendige Eigenschaft auf
577 geführt. Aber das altgriechische Götterbild war ganz anders; das belegt zumindest, daß es begrifflich möglich ist, Allmacht von Güte zu trennen, und mehr will ich hier gar nicht behaupten. Zudem bestreite ich ja wie gesagt gar nicht, daß der von mir angenommene Gott – das allmächtige und allwissende Wesen, das alles erschaffen hat – wirklich gut ist und daß seinen Geboten moralische Autorität zukommt. Es geht mir nur um die Quelle dieser Güte und moralischen Autorität.
Dem Hume'schen Prinzip zufolge können diese moralischen Eigenschaften nicht direkt aus Gottes Allmacht und Allwissenheit folgen: Aus einem Sein läßt sich kein Sollen ableiten. Sie können also nur dann sinnvoll behaupten, daß Ihr Gott gut ist und daß seine Gebote befolgt werden sollten, wenn Sie eine weitere evaluative Hintergrundannahme akzeptieren, auf die Sie sich berufen müssen. Sie können annehmen, daß ein Gott das Universum und Sie selbst erschaffen hat und zudem glauben, daß er Gebote erlassen hat, die in etwa den Zehn Geboten entsprechen, aber aus diesen Prämissen können Sie nicht ableiten, daß es einen moralischen Grund dafür gibt, jenen Geboten zu gehorchen oder daß ihre Befolgung einen moralisch gesehen guten oder auch nur in anderer Hinsicht wünschenswerten Zustand herbeiführen würde. Um Gottes moralische Autorität aus seiner Macht und seinem Wissen ableiten zu können, sind Sie auf eine weitere Prämisse angewiesen. Dieser Gedanke kann über eine Analogie mit der Autorität von Regierungen verdeutlicht werden: Irdische Herrscher sind nur dann legitim, wenn sie bestimmten prozeduralen und substantiellen Prinzipien der Legitimität genügen. Diese philosophische Forderung gilt jedoch sowohl für
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