Gerechtigkeit fuer Igel
einfach eine moralische Tatsache ist, die wir wahrnehmen oder intuitiv in einer Glaubensentscheidung erken
580 nen. Damit würden wir nicht in die Tautologie zurückfallen, daß das, was auch immer Gott tut, per definitionem gut ist. Wir könnten zugestehen, daß seine Güte substantiell ist, und dennoch darauf bestehen, daß wir seine moralische Autorität als bloße moralische Tatsache direkt wahrnehmen oder intuitiv erkennen, so wie viele Menschen seine Existenz oder Macht als bloße Tatsache wahrzunehmen oder intuitiv zu erkennen behaupten. Diese Behauptung ignoriert jedoch die zentrale Unterscheidung zwischen dem Reich der Tatsachen und der Sphäre der Werte, auf die hier schon mehrmals hingewiesen wurde.
Wenn ein Gott existiert, dann handelt es sich bei seiner Existenz und seinen Fähigkeiten um Tatsachenfragen, auch wenn hier sehr spezifische und ungewöhnliche Tatsachen im Spiel sind. Tatsachenbehauptungen können schlicht wahr sein: Ein Gott, wie ich ihn hier vorausgesetzt habe, könnte einfach als unabhängige bloße Tatsache existieren, ohne mit irgendeinem Naturgesetz im Zusammenhang zu stehen. In der Welt der Werte verhalten sich die Dinge aber anders: Hier ist nichts schlicht wahr. Ob etwas richtig oder falsch ist, muß immer von einem Prinzip abhängen, das sich über ein ganzes Gebiet der Moral hinweg verzweigt. Wir können nicht mit einemmal zu der Erkenntnis kommen, daß es sich um eine bloße moralische Tatsache handelt, daß Völkermord falsch ist oder daß arme Menschen in einer wohlhabenden Gesellschaft Anspruch auf eine gesundheitliche Grundversorgung haben. Bezüglich dieser Behauptungen können wir nicht richtig- oder falschliegen, ohne zudem und in der Folge bezüglich einer ganzen Reihe anderer Fragen richtig- oder falschzuliegen. Es kann sein, daß uns die Prinzipien unbekannt sind, auf deren Grundlage ein allmächtiges und allwissendes Wesen moralische Autorität über uns hat, aber wenn wir glauben, daß es diese Autorität hat, dann müssen wir auch akzeptieren, daß es grundsätzlich möglich wäre, ein prinzipienbasiertes Verständnis dieser Autorität zu entwickeln. Damit wiederhole ich in diesem esoterischen
581 Kontext nur die Lehren aus dem ersten Teil und dem siebten Kapitel.
Die von uns bisher diskutierten Argumente für Gottes moralische Autorität nehmen alle von einer Tatsache ihren Ausgang, die Gott einzigartig macht: seiner Macht, Strafen oder große Belohnungen zu verteilen, seiner Rolle als Schöpfer des Universums oder der besonderen epistemischen Macht des Glaubens. Tatsächlich bedarf es hier aber eines Arguments, das nicht auf die Einzigartigkeit eines übernatürlichen Wesens abhebt, sondern mit allgemeinen Bedingungen moralischer Autorität zu tun hat, die auch in weniger erhabenen Machtzusammenhängen gelten, und damit finden wir uns sofort in vertrautem Gebiet wieder. Politische Machthaber beanspruchen moralische Autorität in Form der Macht, den ihrer Herrschaft Unterworfenen durch Gesetzgebung und Erlasse neue moralische Verpflichtungen aufzuerlegen. Diese moralische Autorität erkennen wir jedoch nur dann an, wenn die betreffende Regierung legitim ist, und eine Regierung akzeptieren wir nur dann als legitim, wenn sie sich zu denen, über die sie moralische Autorität beansprucht, auf die richtige Weise verhält. Sie muß ihr Leben als gleichermaßen wichtig berücksichtigen und jedem die Verantwortung für das eigene Leben lassen. Wenn wir behaupten, einem Gott komme moralische Autorität über alle Völker zu, dann müssen wir also eine gleiche Berücksichtigung und Achtung aller Völker auf seiten Gottes voraussetzen. Die in manchen Religionen verbreitete Idee, der eigene Gott kümmere sich nur oder vor allem um die Anhänger der eigenen Religion oder die partikulare ethnische Gruppe der Gläubigen, untergräbt den Anspruch, daß jenem Gott moralische Autorität zukommt.
Wie ich bereits erklärt habe, müssen wir in dieser wie in allen anderen Wertsphären letztlich auf unsere eigenen Überzeugungen zurückgreifen und mit aller gebotenen Höflichkeit und nach eingehendem Nachdenken darauf bestehen, daß wir im Recht sind. Um das zu beweisen, dürfen wir uns aber weder
582 auf unsere Religion noch auf unseren Gott beziehen. Wenn wir das für plausibel halten, können wir unseren Gott im Hinblick auf weniger grundlegende Fragen, die unsere Ethik oder unsere persönliche und sogar unsere politische Moral betreffen, für gesetzgebend halten, und zum Beispiel
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