Gerechtigkeit fuer Igel
weltliche als auch für göttliche Herrschaft.
Damit ergreife ich in einer alten theologischen Kontroverse Partei.
8 Ist Gott gut, weil er sich an die Gesetze der Moral hält, oder sind bestimmte Gesetze nur deshalb moralisch, weil ein Gott sie erlassen hat? Manchmal wird diese Alternative als Dilemma präsentiert. Wenn Gott an moralische Gesetze gebun
578 den ist, ist er nicht allmächtig, weil er nicht beeinflussen kann, was moralisch gesehen letztlich richtig oder falsch, gut oder schlecht ist. Wenn seine Gebote andererseits die Moral erst entstehen lassen, dann ist er nur in einem trivialen und tautologischen Sinn gut. Dieses Dilemma ist jedoch in Wirklichkeit eine Täuschung, weil der Gedanke, daß es eine Einschränkung von Gottes Macht wäre, wenn er das moralisch Schlechte nicht gut machen kann, schlicht ein Verstoß gegen das Hume'sche Prinzip ist. Grundlegende moralische Wahrheiten lassen sich durch keine noch so große Schöpfungskraft verändern. In der vertrauten Idee, daß Gott die letzte Quelle der Moral ist, kommt also nur eine gedankliche Verwirrung zum Ausdruck, und die alten Kirchenmänner, denen zufolge Gottes Güte ein unabhängiges Moralgesetz oder eine moralische Wahrheit widerspiegelt, hatten die besseren Argumente auf ihrer Seite.
Daraus folgt natürlich nicht, daß ein Gott keine moralische Autorität besitzen und durch seine Gebote keine wirklichen moralischen Pflichten schaffen kann. Parlamente haben keine moralische Autorität, wenn sie nicht in Übereinstimmung mit grundlegenden Prinzipien der politischen Moral handeln, aber wenn sie das tun, können sie neue moralische Verpflichtungen entstehen lassen. Ich habe eine moralische Pflicht, meine Steuern gemäß einem bestimmten Steuersystem zu zahlen, weil ein Parlament beschlossen hat, daß ich das tun muß. Die Tatsache, daß keinem Gott automatisch moralische Autorität zukommt, steht nicht im Widerspruch zu der Behauptung, daß er für die Menschenrechte verantwortlich ist. Es könnte sein, daß diese Rechte nur deshalb moralische Gültigkeit besitzen, weil ein Gott uns geboten hat, sie zu achten. Wenn dem jedoch so ist, dann nur deshalb, weil ein grundlegenderes moralisches Prinzip diesen Gott mit der moralischen Autorität ausgestattet hat, neue moralische Rechte zu schaffen. Was könnte dieses grundlegendere Prinzip sein?
Der von mir vorgestellte Gott hat unbegrenzte schöpferische und zerstörerische Fähigkeiten und besitzt die unumschränkte
579 Macht von Zuckerbrot und Peitsche über alle Menschen. Er kann Greenwich Village mit einer AIDS -Epidemie heimsuchen, um Homosexualität zu bestrafen, oder Selbstmordattentäter mit einem Heer an Jungfrauen belohnen. Viele Menschen sehen die Grundlage der moralischen Autorität ihres Gottes in einer solchen Macht des Strafens und Belohnens. Drohung und Bestechung schaffen jedoch keine Legitimität. Andere führen die moralische Autorität Gottes auf die Tatsache zurück, daß er sie geschaffen hat.
9 Einer weitverbreiteten Auffassung zufolge gehört das, was jemand geschaffen hat, jener Person, und daher hat sie eine, wenn auch zweifellos begrenzte moralische Autorität darüber, was mit dieser Sache geschieht – wie im Fall eines Bildhauers, der einem Marmorblock seine eigene Arbeit hinzufügt. Marmorblöcke haben jedoch keine moralische Pflicht, ihrem Schöpfer zu gehorchen, und abgesehen davon sind Menschen ja auch keine Marmorblöcke. Kinder haben ihren Eltern gegenüber Pflichten, zu denen zumindest für eine begrenzte Zeit die Pflicht gehört, zu tun, was die Eltern sagen. Insofern diese Autorität aber die Macht einschließt, moralische Verpflichtungen entstehen zu lassen – etwa die Verpflichtung, an einem gemeinsamen Familienprojekt mitzuwirken –, hängt sie von einer ganzen Reihe sozialer Praktiken und geteilter Verständnisse ab, wie wir sie im letzten Kapitel diskutiert haben. Elterliche Autorität ist jedenfalls nicht allein in der Tatsache der Zeugung begründet: Adoptiveltern haben dieselbe moralische Autorität wie biologische Eltern. Wenn Gott die Autorität besitzt, neue moralische Verpflichtungen zu schaffen, so muß diese die Folge eines anderen Prinzips als der Locke'schen Eigentumstheorie sein.
An dieser Stelle könnte nun von Menschen, deren Religiosität eher instinktiv ist, eingewendet werden, daß wir nicht nach einem Prinzip zu suchen brauchen, das Gott moralische Autorität über uns zuspricht. Es reicht aus zu behaupten, daß seine Autorität
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