Gerechtigkeit fuer Igel
behaupten, daß seine Verkündigungen ein bestimmtes ethisches Ideal oder eine Theorie dessen, wie wir leben sollen, wahr machen. Wir können Gott jedoch nicht als Quelle der grundlegendsten Bestandteile unserer politischen Moral – unserer Überzeugungen in Fragen der Legitimität oder der Menschenrechte – betrachten, ohne in eine lähmende Zirkularität zu geraten.
Diese Überlegung setzt die Religion nicht herab; im Lauf der menschlichen Geschichte hat sie in beeindruckendem Ausmaß im Guten wie im Bösen gewirkt. Auch wenn vor dem Hintergrund von Terror und Bigotterie das Böse gegenwärtig eher im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen mag, ist die Geschichte doch zu komplex, um darin das letzte Wort zu sehen. Mir geht es hier nur darum, das Argument für die Menschenrechte auf einer anderen Ebene zu situieren. Wir müssen uns nicht auf unsere Religion berufen und Andersgläubige damit außen vor lassen, wenn wir allen Menschen als Menschen zukommende Rechte begründen wollen. Entsprechende Argumentationen sollten sich nicht auf das berufen, was uns unterscheidet, sondern auf das, was uns gemeinsam ist. Wir alle – Moslems, Juden oder Christen, Atheisten oder Fanatiker – sehen uns unausweichlich mit der Aufgabe konfrontiert, unser Leben gestalten zu müssen, den Tod zu gewärtigen und der Würde entsprechend zu leben.
583 Begriffe
Kriteriumsabhängige Fehler
Eine Vielfalt von Fragestellungen – im Zusammenhang mit der persönlichen Ethik, der persönlichen Moral, der politischen Legitimität, der politischen Rechte sowie der Menschenrechte – hat uns immer wieder zu den beiden Prinzipien der Würde zurückgeführt. Im folgenden buchstabieren wir diese Prinzipien weiter aus, indem wir uns den beiden interpretativen Begriffen zuwenden, die die Politik ebenso wie die Politische Philosophie beherrschen: dem der Gleichheit und dem der Freiheit. Unter Freiheit verstehe ich sowohl die negative als auch die positive Freiheit, und daher gehört auch der Begriff der Demokratie in diesen Teil unserer Untersuchung. Was diese Begriffe wirklich bedeuten, worin wirkliche Freiheit, politische Gleichheit und negative Freiheit bestehen würde, ist kontrovers. Diese Fragen werde ich in den folgenden drei Kapiteln behandeln, hier aber bereits eine kurze vorausblickende Zusammenfassung vorlegen, die zugleich auf das achte Kapitel zurückblickt und die später in diesem fünften Teil vorgestellten Argumente antizipiert, um zu zeigen, warum es so wichtig ist, zu begreifen, daß es sich hier um interpretative Begriffe handelt. Viel Energie ist auf die unverständliche Annahme verschwendet worden, daß es sich bei Freiheit, Gleichheit und Demokratie um kriteriumsabhängige Begriffe handelt, die sich im Rahmen einer neutralen Analyse erläutern lassen, die keinerlei Annahmen über deren Wert oder Wichtigkeit macht. Alle diese Versuche haben zu nichts als Paradoxien geführt.
584 Freiheit
Nehmen wir etwa John Stuart Mills klassische Konzeption der Freiheit: Ihm zufolge besteht Freiheit in der Freiheit, zu tun, was man will. Wenn Freiheit so verstanden wird, muß jede Regierung die Freiheit natürlich permanent einschränken, zum Beispiel, wenn sie Vergewaltigung oder Brandstiftung verbietet. Das stellt uns vor ein Dilemma. Einerseits müssen Vergewaltigung und Brandstiftung unter Strafe gestellt werden, aber handelt es sich dabei nicht andererseits um eine besondere Art von Unrecht, nämlich die Beeinträchtigung eines wichtigen Wertes? Weil wir Freiheit so definiert haben, daß sie durch diese Gesetze beschnitten wird, sprechen wir der Freiheit einen Eigenwert ab und betrachten sie nicht länger als wesentlich für die Menschenwürde. Statt dessen machen wir den fraglichen Wert an etwas anderem fest, das oft mit Freiheit assoziiert wird. Aber um was handelt es sich dabei? Es bringt uns auch nicht weiter, einfach zu behaupten, daß wir nur der grundlegenden Freiheit einen Wert zuschreiben, weil wir dann erklären müssen, was eine Form der Freiheit grundlegender macht als eine andere, und dazu müssen wir annehmen, daß ein von uns als Freiheit bezeichnetes Gut in höherem Maße auf dem Spiel steht, wenn eine grundlegende Freiheit in Frage gestellt wird.
Man könnte aber andererseits darauf bestehen, daß es an sich eine besondere Art von Unrecht darstellt, Menschen daran zu hindern, das zu tun, was sie tun wollen – daß es also an sich schlecht ist, Menschen daran zu hindern, andere zu vergewaltigen –, daß
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