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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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Politik das Leben der Armen nur marginal verbessern
587 und nicht umfassend verändern würde. Wieder andere Kritiker weisen selbst diese scheinbar moderate Position zurück. Ihnen zufolge ist es erniedrigend, sich um Gleichheit zu bemühen, weswegen die politische Gemeinschaft ihr Augenmerk auf die Freiheit richten sollte. Einige vertreten auch das noch weitergehende, inzwischen jedoch diskreditierte Dogma, daß besonders talentierte Menschen bei entsprechenden Anreizen so viel Wohlstand produzieren werden, daß einiges davon »nach unten durchsickert« zu den Armen.
14 Wieder andere verkünden, daß die Armen sich einfach um sich selber kümmern sollten, oder sind zumindest im stillen dieser Meinung.
    Wenn wir davon ausgehen, daß es bei der Frage, wie wichtig Gleichheit eigentlich ist oder wann sie anderen Werten wie etwa dem Wohlstand der Mittelschicht nachzuordnen ist, darum geht, wie wichtig es ist, daß ein jeder das gleiche hat, dann wirkt sich das auf ungute Weise auf die entsprechenden Debatten aus, und wir sehen uns mit ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert, wie sie sich auch aus dem vermeintlich neutralen Verständnis von Freiheit ergeben. Ist Gleichheit, so verstanden, ein eigener Wert? Ist es intrinsisch gut, daß unterschiedliche Menschen über den gleichen Wohlstand verfügen, so daß jede Abweichung von dieser flachen Gleichheit selbst dann bedauerlich bleibt, wenn sie aufgrund einer übergeordneten Erwägung, etwa der ökonomischen Rationalität, gerechtfertigt ist? Das scheint nicht besonders plausibel. Warum sollte es wünschenswert sein, daß alle Menschen über den gleichen Wohlstand verfügen, wenn manche ihr Geld ausgeben, während andere sparen, oder wenn manche arbeiten und andere sich die Zeit vertreiben?
    Vielleicht kommen wir zu dem Ergebnis, daß flache Gleichheit an sich keinerlei moralische Bedeutung hat. Warum sollten wir dann aber darüber diskutieren, wie wichtig es ist, sich diesem Ziel anzunähern? Warum sollten wir etwa mit Rawls annehmen, daß Abweichungen von der flachen Gleichheit einer besonderen Rechtfertigung bedürfen? Wenn wir anderer
588 seits letztlich denken, daß eine flache Gleichheit was den Wohlstand angeht tatsächlich an sich gut ist, warum sollten wir diesen Wert dann überhaupt irgendwie begrenzen, und wo sollte diese Grenze gegebenenfalls gezogen werden? Welcher konkurrierende Wert ist für entsprechende Einschränkungen verantwortlich und erklärt, inwieweit Gleichheit wünschenswert ist? Wie sollen wir entscheiden, wann es alles in allem besser ist, Abstriche am intrinsischen Wert der Gleichheit zu machen, um etwa der Mittelschicht zu mehr Wohlstand zu verhelfen? Aus welcher neutralen Perspektive heraus und anhand welcher Metrik können wir die entsprechenden Urteile fällen und rechtfertigen? Auch hier scheinen wir uns wieder auf nichts als einen wenig fruchtbaren Konflikt zwischen »Intuitionen« berufen zu können.
    Demokratie
    Die Debatte über die Demokratie – also über Gleichheit im Bereich der Politik – krankt an einem ähnlichen Leiden. In der Philosophie und der Politikwissenschaft fühlen sich viele zu einem neutralen Verständnis von Demokratie hingezogen, dem zufolge wir es mit einer Demokratie zu tun haben, wenn eine Regierung gemäß dem Mehrheitswillen handelt, der in regelmäßig abgehaltenen Wahlen in sinnvollen Abständen zum Ausdruck kommt, für die ein allgemeines Wahlrecht gilt und die nach einer politischen Debatte mit freier Meinungsäußerung und freier Presse stattfinden. Auf der Basis einer solchen Definition streiten sich Juristen und Politiker darüber, ob die US -amerikanische Praxis der judicial review , also der richterlichen Überprüfung von Gesetzen (die nun in einer großen Anzahl von Staaten mehr oder weniger stark nachgeahmt wird) gerechtfertigt werden kann. Im Rahmen dieser Praxis kann ein Gericht – in den Vereinigten Staaten in letzter Instanz der Oberste Gerichtshof – zu dem Urteil kommen, daß ein
589 von einem den Mehrheitswillen repräsentierenden Parlament verabschiedetes Gesetz mit grundlegenden Rechten der Verfassung unvereinbar ist und daher seine Rechtswirkung verlieren sollte. Manchen Juristen und Philosophen zufolge muß diese Praxis als Verletzung der Demokratie verurteilt werden. Andere verteidigen sie aus der Überzeugung heraus, daß Demokratie nur ein Wert unter vielen ist und manchmal zugunsten anderer Werte wie etwa der Menschenrechte eingeschränkt werden muß. Aber hier stellt uns

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