Gerechtigkeit fuer Igel
einen Konflikt zwischen ihnen unmöglich macht und sie als sich wechselseitig stützend erweist. Unter politisch konservativen Denkern ist eine bestimmte Interpretation der ersten Forderung sehr beliebt, die entsprechende Konflikte tatsächlich vermeiden würde: Dieser Sichtweise zufolge ist die Verteilung materieller Ressourcen schlicht nicht Aufgabe der Regierung. Eine Regierung könne daher alle gleichermaßen berücksichtigen, indem sie ihnen einfach die Freiheit läßt, im Rahmen ihrer Möglichkeiten und nach eigenem Gut
597 dünken Ressourcen zu erwirtschaften, zu kaufen, zu verkaufen, zu sparen oder auszugeben. Weil einige von uns sehr viel besser als andere darin sind, etwas zu produzieren, zu verwalten oder zu investieren, sowie einfach sparsamer leben und zudem natürlich nicht alle gleich viel Glück haben können, würde das zu einer sehr ungleichen Vermögensverteilung führen. Diese Situation wäre aber nicht auf irgendwelche Regierungsmaßnahmen zurückzuführen und könnte daher nicht als Zeichen einer ungleichen Berücksichtigung der Verlierer verstanden werden, ebensowenig wie die Tatsache, daß Wettläufe nicht von allen Teilnehmern gewonnen werden, anzeigt, daß die Organisatoren des Rennens die Verlierer ungerecht behandelt haben.
Diese Argumentation ist zwar wie erwähnt sehr beliebt, aber zugleich völlig unplausibel, weil vorausgesetzt wird, daß eine Regierung im Hinblick auf das Ergebnis des wirtschaftlichen Wettbewerbs neutral sein kann. In Wirklichkeit wirkt sich aber alles, was die Regierung einer größeren politischen Gemeinschaft tut oder unterläßt, darauf aus, über welche Ressourcen bestimmte Bürger verfügen und wie erfolgreich sie sind. Beides hängt natürlich zugleich mit vielen anderen Variablen zusammen, etwa den geistigen und körperlichen Fähigkeiten des betreffenden Individuums, seinen früheren Entscheidungen, seinem Glück, der Haltung anderer ihm gegenüber und der Möglichkeit oder dem Wunsch, etwas zu produzieren, was andere wollen. All das könnte man als persönliche ökonomische Variablen bezeichnen, aber wie jene sich letztlich auf seine Ressourcen und Chancen auswirken, hängt immer auch von politischen Variablen ab, wie zum Beispiel den Gesetzen und Regelungen der Gemeinschaft, in der es lebt und arbeitet.
Diese Gesetze und politischen Maßnahmen bilden das, was ich hier als die politische Einigung einer Gemeinschaft bezeichnen werde. Ein zentraler Teil dieser Einigung ist natürlich das Steuerrecht, aber auch andere Bereiche des Rechts gehören dazu: Die Finanz- und Währungspolitik, das Arbeitsrecht, Um
598 weltschutzvorschriften, Bebauungspläne, die Außenpolitik, das Gesundheitswesen, die Verkehrspolitik, die Regulierung von Lebensmitteln und Medikamenten und vieles mehr. Jede Änderung dieser politischen Regelungen oder Gesetze wirkt sich auf die Verteilung des persönlichen Eigentums und der Chancen in der Gemeinschaft aus, selbst wenn persönliche Variablen wie etwa die Entscheidungen, das Glück oder die Fähigkeiten der individuellen Bürger gleichbleiben. Wir können der Forderung der gleichen Berücksichtigung also nicht einfach entgehen, indem wir stipulieren, daß die tatsächlichen Ressourcen eines Individuums nur auf eigene Entscheidungen zurückzuführen sein sollten und nicht auf Maßnahmen der Regierung, weil sie stets von beidem abhängen. Die von der Gemeinschaft gefundene politische Einigung legt fest, welche Chancen und andere Konsequenzen sich für ein Individuum aus einer bestimmten Wahl im Zusammenhang mit Schulbildung, Ausbildung, Beruf, Investitionen, Produktion und Freizeitgestaltung ergeben, und das gilt auch für eventuelle Glücks- oder Unglücksfälle. Zu behaupten, daß eine Regierung im Rahmen einer Laisser-faire -Politik keinerlei Entscheidungen trifft, obwohl es sich dabei einfach um die Entscheidung für bestimmte Gesetze und gegen andere handelt, ist eine recht unbedarfte Ausflucht.
Wenn wir ein weiteres Mal die Analogie mit dem Wettlauf bemühen, wird deutlich, wie wenig überzeugend die Idee ist, daß die Regierung hinsichtlich der Ressourcenverteilung neutral bleiben kann. Ein vernünftig geplanter Wettkampf ist nie neutral, sondern gezielt so manipuliert, daß bestimmte Fertigkeiten die Wahrscheinlichkeit zu siegen erhöhen. Dabei handelt es sich nicht um eine Form von Diskriminierung, weil, vorausgesetzt daß sich alle über den Zweck des Unterfangens einig sind, niemand benachteiligt wird. In einer legitimen
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