Gerechtigkeit fuer Igel
politischen Gemeinschaft gemäß den Prinzipien der Würde zusammenzuleben hat hingegen nicht zum Zweck, bestimmte Fertigkeiten, Eigenschaften oder einfach Glück zu identifizieren und
599 zu belohnen, und darum kann ein Gesetz, das voraussehbar eben das zur Folge hätte, durchaus diskriminierend sein.
Nutzen
Vor diesem Hintergrund liegt allerdings eine andere Rechtfertigung einer Laisser-faire- Regierung nahe. Man könnte nämlich argumentieren, daß der Zweck einer Regierung darin besteht, produktive Fähigkeiten zu erkennen und zu belohnen, nicht als Selbstzweck, sondern um den Wohlstand der Gemeinschaft insgesamt zu vergrößern. Dieser Gedanke kann auch etwas formeller in einem utilitaristischen Vokabular ausgedrückt werden: Wenn wir bei der Ausarbeitung von Prinzipien, welche die Gesamtsumme der Freude (oder des Glücks, des Wohlergehens, des Erfolgs) in der Gemeinschaft insgesamt maximieren, die Freude (beziehungsweise eines der anderen Güter) jedes Individuums gleichermaßen wertschätzen, berücksichtigen wir jeden gleichermaßen. Auch wenn der Utilitarismus in der Politischen Theorie sehr einflußreich war und ist, halte ich diese Auffassung gleicher Berücksichtigung für nicht besonders überzeugend. Wenn Eltern ihr ganzes Budget in die Ausbildung des Kindes stecken würden, dessen Chancen auf wirtschaftlichen Erfolg am höchsten ist, wäre das keine gleiche Berücksichtigung aller ihrer Kinder. Ein solches Vorgehen würde nicht demonstrieren, daß ihnen der Erfolg, den jedes ihrer Kinder im Leben hat, gleichermaßen wichtig ist. Einer großen Gruppe möglichst gerecht zu werden, ist nicht dasselbe, wie den Mitgliedern individuell gerecht zu werden. Im Rahmen einer Aggregationsstrategie ist die Wertschätzung des Nutzens – ob er nun als Glück oder als Wohlergehen verstanden wird – von der entsprechenden Person unabhängig, aber damit wird letztlich ein Gut und nicht eine Person berücksichtigt.
600 Wohlfahrt
Die beiden eben vorgestellten Versuche, das Problem der gleichen Berücksichtigung anzugehen – der Gedanke, daß die Verteilung der Ressourcen nicht zum Aufgabenbereich der Regierung gehört, und der, daß es Ziel der Regierung sein sollte, die Gesamtsumme eines Gutes zu maximieren –, haben zwar den Vorteil, daß auf sie zurückgehende Prinzipien die individuelle Verantwortung für das eigene Leben respektieren. Sie stellen aber keine vernünftige Auffassung dessen dar, was es heißt, Menschen gleichermaßen zu berücksichtigen. Nun sollten wir auch kurz auf Theorien eingehen, die am umgekehrten Fehler scheitern. Sie versprechen eine Gleichheit der Wohlfahrt, des Wohlergehens oder der Fähigkeiten, wobei ein bestimmtes Verständnis davon, was Wohlergehen heißt und welche Chancen oder Fähigkeiten wichtig sind, vorausgesetzt wird.
Manche dieser Theorien haben zum Ziel, Menschen gleichermaßen glücklich zu machen oder den am wenigsten glücklichen am meisten Zuwendung zukommen zu lassen, wobei auf eine Art Geigerzähler des Glücks zurückgegriffen wird. Manchmal geht es auch um Gleichheit gemessen an der jeweils individuellen Vorstellung von Erfolg, hinsichtlich individuell verstandener Chancen auf Glück oder Wohlergehen
5 oder hinsichtlich der Fähigkeiten insgesamt.
6 Man ist sich aber nicht darüber einig, was Glück eigentlich ist und welchen Wert es hat. Manche Menschen sind durchaus willens, zuweilen sogar fast eifrig darum bemüht, das Glück anderen Zielen unterzuordnen. Auch darüber, was ein Leben erfolgreich macht, gibt es unterschiedliche Ansichten: Manche gehen von sehr viel anspruchsvolleren – und damit kostenintensiveren – Plänen aus als andere. Aus diesen Gründen herrscht keine Einigkeit darüber, welche Chancen auf Glück wir unbedingt benötigen und welche Fähigkeiten am wichtigsten sind. Wenn eine Gemeinschaft die Gleichheit ihrer Mitglieder hinsichtlich eines dieser Güter zum Ziel hat, müßte sie damit allen ein kollekti
601 ves Urteil darüber aufzwingen, was ein gutes Leben und was eine gelungene Lebensführung ausmacht. Eine noch grundsätzlichere Verletzung der persönlichen Verantwortung liegt zudem darin, daß die Gemeinschaft versucht, alle Bürger unabhängig von ihren Entscheidungen oder eventuell eingegangenen Risiken hinsichtlich des entsprechenden Guts gleichzustellen. Unter solchen Umständen wäre individuelle Verantwortung fast bedeutungslos.
Um beide Fehler zu vermeiden, benötigen wir eine Theorie der
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