Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
Vom Netzwerk:
eingeschränkt. Es handelt sich also um Situationen, in denen Demokratie und negative Freiheit – angeblich – vorübergehend eingeschränkt werden müssen, um langfristig schlimmere Verluste zu verhindern, und nicht darum, daß einer dieser Tugenden Vorrang vor der anderen gegeben wird.
    Es gibt noch einen weiteren Grund, warum Berlin Konflikte zwischen diesen beiden Arten der Freiheit für unvermeidlich hielt: Seine Auffassung der positiven Freiheit war ebenso problematisch wie seine Auffassung der negativen Freiheit. Um das zu erklären, ist folgende terminologische Festlegung hilfreich. Obwohl in diesem Zusammenhang Freiheit im Sinne von liberty und Freiheit im Sinne von freedom zuweilen austauschbar verwendet werden, werde ich hier auf die folgende Weise zwischen den beiden unterscheiden: Absolute Freiheit im Sinne von freedom ist die Macht eines Menschen, nach eigenem Gutdünken zu handeln, ohne daran von anderen oder der politischen Gemeinschaft über direkte Einschränkungen oder entsprechende Drohungen gehindert zu werden. Seine negative Freiheit im Sinne von negative liberty ist der Bereich seiner Freiheit im Sinne von freedom , in den eine politische Gemeinschaft nicht eingreifen kann, ohne ihn als Mensch auf eine ganz spezifische Weise zu schädigen; ein solcher Eingriff wäre eine Verletzung seiner Würde, weil ihm die gleiche Berücksichtigung oder ein wesentlicher Aspekt seiner Verantwortung für sein eigenes Leben vorenthalten werden würde.
    Berlin ging davon aus, daß Freiheit im Sinne von freedom insgesamt und negative Freiheit im Sinne von negative liberty koextensiv sind, so daß eine Beschränkung ersterer stets eine Verletzung letzterer darstellt. (Mill war ebenfalls dieser Meinung, ebenso wie viele andere Philosophen, zum Beispiel H. L. A. Hart.
 4 ) Man kann diese Gleichsetzung von Freiheit im Sinne von liberty und Freiheit im Sinne von freedom nicht dadurch rechtfertigen, daß es sich bei Freiheit im ersten Sinne
621 um einen kriteriumsabhängigen Begriff handele und das von uns geteilte Anwendungskriterium einfach diese Konsequenz habe. Freiheit im Sinne von liberty ist kein solcher Begriff, was zum Beispiel daran deutlich wird, daß in Diskussionen darüber, ob Steuern eine Einschränkung unserer Freiheit sind, offensichtlich unterschiedliche Kriterien verwendet werden. Wir können entsprechende Meinungsverschiedenheiten nur dann als Konflikte begreifen, wenn wir, wie ich es gerade getan habe, davon ausgehen, daß Freiheit ein interpretativer Begriff ist, dessen Bedeutung am besten erfaßt werden kann, wenn wir ihn mit dem grundlegenden Wert der persönlichen Verantwortung verbinden. Es geht also im Grunde darum, ob Freiheit im Sinne von liberty und Demokratie als Werte im Konflikt miteinander stehen, und nicht nur als Phänomene. Nur wenn wir Freiheit auf diese Weise an die Idee der Würde binden, behandeln wir sie als einen Wert.
    Aus diesem Grund sollten wir die Gleichsetzung von Freiheit im Sinne von liberty mit Freiheit im Sinne von freedom einfach als Berlins Auffassung des Werts Freiheit verstehen. Wenn das eine stichhaltige Auffassung ist – wenn sie also wirklich einfängt, was an Freiheit gut ist –, dann steht Demokratie tatsächlich im Widerspruch zu ihr, weil eine Regierung ohne Strafgesetze und andere Arten rechtlicher Vorschriften unmöglich ist. Das würde bedeuten, daß gut zu regieren immer heißt, Kompromisse einzugehen, weil ein bestimmtes Gut – nämlich Freiheit im Sinne von liberty  – eingeschränkt werden muß, um andere Güter zu sichern. Diese Interpretation ist aber nicht haltbar, weil die Würde der Bürger nicht dadurch beeinträchtigt wird, daß ihre Regierung es ihnen untersagt, sich gegenseitig zu töten. Natürlich ist es bedauerlich, wenn jemand dafür bestraft wird, das Gesetz gebrochen zu haben, weil zum einen dieser Mensch dadurch zu Schaden kommt und zum anderen all jene, die ihn bestrafen, diese Bestrafung als entsetzlich erleben sollten. Ebenso bedauerlich ist es, wenn ein Mensch sich nur aus Furcht vor der Strafe an das Gesetz hält. Natürlich wä
622 re es besser, wenn die Gesetze und auch die Bürger so gerecht wären, daß nie Zwang angewendet oder angedroht werden muß. Für sich genommen tut eine kollektive Entscheidung für ein Tötungsverbot und die Androhung von Strafe im Fall eines Verstoßes der Würde der Bürger aber keinen Abbruch.
    Ihre Würde als gleiche Bürger verlangt vielmehr, daß Ihre Regierung Sie auf diese

Weitere Kostenlose Bücher