Gerechtigkeit fuer Igel
Erlöse an japanische Raffinerien weiterzuleiten. In diesem Szenario kann wohl kaum von einer Selbstregierung der Norweger gesprochen werden. Wenn ein dem Mehrheitsprinzip folgendes Verfahren Selbstregierung ermöglichen soll, muß es sich dabei um die Mehrheit des richtigen Volkes handeln.
Dieses Prinzip haben in der Vergangenheit viele Menschen – etwa die Völker Afrikas nach dem Zweiten Weltkrieg oder weiße Bürger im US -amerikanischen Süden vor dem Bürgerkrieg – für wichtiger als ihre individuelle Rolle in dieser Regierung gehalten. Die Menschen möchten durch Menschen regiert werden, die ihnen selbst relativ ähnlich sind. Oft ist allerdings unklar, was das bedeuten soll. Tribalistische und nationalistische Bewegungen berufen sich gerne auf diese Idee; denken Sie hier etwa an ethnische Zugehörigkeit, Religion, Sprache, Verwandtschaft oder sogar, wie im alten US -amerikanischen Süden, ökonomische Umstände oder Interessen. Historiker, staatliche Repräsentanten und Politiker können es sich nicht leisten, die Wirkungsmacht jener zentripetalen Kräfte zu ignorieren, da sie noch heute Menschen zu furchtbarer Gewalt anstiften. Trotzdem kommt ihnen an sich jedoch keinerlei normative Kraft zu. Auf die Frage, nach welchem Prinzip sich Menschen in unterschiedliche politische Gemeinschaften aufteilen sollten, gibt es keine nichthistorische richtige Antwort. Das Ideal der Demokratie selbst hält keine Antwort bereit, weil es eine politische Gemeinschaft voraussetzt und daher nicht dafür verwendet werden kann, sie zu bestimmen. Dasselbe gilt für die emotional sehr effektive, aber unheilbar vage Idee der nationalen Selbstbestimmung – also das vermeintliche Recht ethnisch-kultureller Gruppen, sich selbst zu regieren. Wir verfügen einfach nicht über einen hinreichend präzisen Begriff einer nichtpolitischen Nation, um diesem Recht eine Bedeutung zu
644 verleihen, und selbst wenn dem anders wäre, stünde uns keine befriedigende Antwort auf die Frage zur Verfügung, warum ein individuelles Mitglied der so bestimmten Gruppe eine Pflicht haben soll, mit den anderen eine politische Gemeinschaft zu gründen.
Es kann tatsächlich – manchmal sogar zwingende – Gründe geben, historische und festetablierte Herrschaftsstrukturen gezielt zu verändern. Systeme kolonialer Herrschaft, in denen das Volk eines politischen Staates andere, weit entfernt lebende Völker regierte, hätten nicht reformiert werden können, ohne diese formalen Einheiten aufzulösen und neue Staaten zu schaffen. Obwohl jene Patrioten, die im Bostoner Hafen eine Schiffsladung Tee ins Meer kippten, dabei »Keine Besteuerung ohne Repräsentation!« riefen, wurde in Thomas Jeffersons Unabhängigkeitserklärung in Reaktion auf König Georgs Verbrechen nicht die Ausweitung des Wahlrechts für Westminster gefordert; und ein oder zwei Jahrhunderte später wäre niemand auf den Gedanken gekommen, die Kolonialherrschaft in Afrika oder auf dem indischen Subkontinent auf diese Weise zu beseitigen.
Selbst wenn es nicht darum geht, ein System kolonialer Herrschaft zu beenden, können sich die durch Geographie, Geschichte, Krieg und Politik gezogenen Grenzen als unhaltbar erweisen. Wenn Stämme oder ethnische oder religiöse Gruppierungen nicht in der Lage sind, gewaltfrei miteinander zusammenzuleben, kann es sein, daß die Teilung in unterschiedliche politische Gemeinschaften die einzige gangbare Alternative darstellt. Auch wenn eine Minderheit permanent Opfer von Ungerechtigkeiten wird, kann eine Neuziehung der Grenzen helfen, vorausgesetzt natürlich, daß dies ohne noch größere Ungerechtigkeit oder erhebliches Leid möglich ist. Wenn eine illegitime Eroberung – etwa Saddam Husseins Invasion in Kuwait – rückgängig gemacht werden kann, muß das geschehen. Selbst dieses Prinzip muß aber bestimmten Einschränkungen unterworfen werden, so daß wir unabhängig da
645 von, ob es vor 60 Jahren falsch war, den Staat Israel auf diese Weise zu gründen oder nicht, seine ursprünglichen Grenzen heute anerkennen müssen.
Dies sind Beispiele für dramatische Verschiebungen politischer Grenzen. Weniger dramatische Verschiebungen und Umgruppierungen sind oft angeraten und lassen sich normalerweise mit recht wenig oder zumindest deutlich weniger Leid durchführen. Föderalismus und Dezentralisierung, also die Schaffung untergeordneter Einheiten in etablierten Gemeinschaften, ermöglichen häufig vernünftigere politische Entscheidungen und stärken
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