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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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das gegen dieses Recht und die negative Freiheit – und das Urteil, daß ein früher Schwangerschaftsabbruch nicht mit der von der Würde verlangten Achtung vor dem menschlichen Leben vereinbar ist, wäre ein solches Urteil.
14 Wenn eine Frau aus nichtigen Gründen abtreibt, etwa um einen Urlaub nicht verschieben zu müssen, verrät sie damit ihre eigene Würde, während ich in anderen Fällen zu einem anderen ethischen Urteil kommen würde: Eine Zukunft als alleinerziehende Mutter würde die Aussichten einer Jugendlichen auf ein akzeptables Leben zunichte machen. Ob ein solches Urteil in diesem oder anderen konkreten Fällen nun richtig ist oder nicht, es ist jedenfalls nicht moralisch, sondern ethisch, und darum muß es der betroffenen Frau überlassen werden, Verantwortung für ihre eigenen ethischen Überzeugungen zu tragen, wie ihre Würde es verlangt.

641 Kapitel 18
Demokratie
    Positive Freiheit
    Phrasen und Fragen
    Das zweite Prinzip der Würde schützt die persönliche ethische Verantwortung. Im letzten Kapitel haben wir uns mit einem bestimmten Aspekt dieser Verantwortung befaßt. Unsere Würde verlangt, daß wir in ethischen Entscheidungen von der Regierung unabhängig sind, und diese Forderung liegt jeder überzeugenden Theorie der negativen Freiheit zugrunde. In anderen Hinsichten ist eine solche Unabhängigkeit aber nicht gefordert: Eine politische Gemeinschaft muß im Hinblick auf Fragen der Gerechtigkeit und der Moral kollektive Entscheidungen treffen und diese auch mit Zwang durchsetzen können. Damit tritt die positive Freiheit in den Vordergrund. Wenn ich in Fragen der Gerechtigkeit und der Moral nicht von zwangsbewehrter Kontrolle frei sein kann, verlangt meine Würde, daß mir bei den kollektiven Entscheidungen, durch die diese Kontrolle ausgeübt wird, eine Rolle zukommt. Um was für eine Rolle handelt es sich dabei?
    Wenn wir uns diesem Problem zuwenden, finden wir uns schnell knietief in einem Sumpf oberflächlicher Phrasen wieder. Würde ist nur mit Demokratie vereinbar. Die Regierung muß eine Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk sein. Das Volk muß sich selbst regieren. Jedem Bürger muß eine gleiche und bedeutsame Rolle angetragen werden. Jeder muß eine Stimme haben und niemand mehr als eine. John Locke zufolge ist niemand von Geburt an dazu bestimmt zu herrschen oder beherrscht zu werden.
 1 Wir müssen versuchen,
642 die positive Freiheit vor diesen Slogans zu retten, weil vollkommen unklar ist, was sie überhaupt bedeuten sollen. Demokratie ist ein interpretativer und sehr umstrittener Begriff. Inwiefern regiert sich »das Volk« selbst, wenn nur eine Handvoll Bürger wirklich Einfluß darauf haben, welche Gesetze verabschiedet werden? Das sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Großbritannien existierende Wahlsystem, in dem der Kandidat mit der Stimmenmehrheit in einem Bezirk gewinnt und alle anderen Stimmen verfallen, unterscheidet sich enorm von dem in vielen anderen Staaten gängigen System der proportionalen Repräsentation. Dieselbe Verteilung von Interessen, Überzeugungen und Präferenzen würde daher abhängig vom jeweils vorliegenden System wahrscheinlich zu ziemlich unterschiedlichen Gesetzen führen. Ist eines dieser Systeme demokratischer als das andere? Ist die Praxis der judicial review , die für die Dauer ihres Lebens ernannten Richtern das Recht zuspricht, legislative und exekutive Akte für verfassungswidrig zu erklären, undemokratisch und somit illegitim, oder handelt es sich bei ihr vielmehr um einen notwendigen und vorteilhaften Korrekturmechanismus? Oder kann es sein – das wäre eine dritte Möglichkeit –, daß diese Praxis sogar für die Etablierung einer wirklichen Demokratie wesentlich ist? All jene Positionen haben große Unterstützung gefunden, und wir können nicht zwischen ihnen wählen, ohne uns zugleich für eine bestimmte Konzeption der Demokratie zu entscheiden und diese Entscheidung auch zu rechtfertigen.
    Wer ist das Volk?
    Bevor wir uns jenen nur allzu vertrauten Fragen zuwenden können, sind wir allerdings mit einer weiteren Eingangsfrage konfrontiert. Wer ist das Volk? Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Eines Tages verleiht Japan den Bürgern Norwegens das gleiche Wahlrecht, so daß diese in der Lage sind, einige wenige
643 Norweger in das japanische Parlament zu wählen. In einer Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip entscheidet dieses Parlament dann, eine Steuer auf norwegisches Öl zu erheben und die

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