Gerechtigkeit fuer Igel
Überrest oder einen Nachhall der Idee beibehalten, daß moralische Meinungen durch moralische Wahrheit verursacht werden, weil sie befürchten, andernfalls den erschreckenden Schluß ziehen zu müssen, daß jene Meinungen dem Zufall geschuldet sind.
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Wir können jedoch nicht einmal ansatzweise erklären, wie ein solcher Kausalzusammenhang funktionieren könnte. In den Naturwissenschaften beginnt man langsam, ein klareres Verständnis der optischen sowie der neuronal-chemischen Vorgänge und der Gehirntopographie zu entwickeln, die in einer adäquaten Erklärung davon eine Rolle spielen, wie der Regen in Frankreich eine entsprechende Meinung verursacht. Diese Kausalkette kann aber unmöglich so präzisiert oder ausgebaut werden, daß sie erklärt, wie der Umstand, daß Quotenregelungen unfair sind (oder eben auch nicht), entsprechende Überzeugungen produziert. Obwohl mir bewußt ist, wieviel wir noch über die Beschaffenheit des Universums und die Arbeitsweise unseres Gehirns zu lernen haben, scheint es schwer vorstellbar, daß die KE -Hypothese sich als wahr erweisen könnte. Denken Sie etwa an Telepathie. Nur sehr wenige Menschen sind der Ansicht, daß ein Mensch eine andere Person, die viele tausend Kilometer entfernt ist, mit großer Anstrengung dazu bringen kann, bestimmte Gedanken zu haben. Dennoch haben wir durchaus eine grobe Vorstellung davon, welche Entdeckungen nötig wären, um unsere Meinung diesbezüglich zu ändern. Wir können uns bestimmte kontrollierte Experimente ausdenken, die es gegebenenfalls schwermachen würden, ein solches Phänomen zu leugnen, mit häufig wiederholten Ereignisketten, die nicht anders zu erklären wären. Vielleicht würden wir exter
129 ne elektrische Felder entdecken oder zumindest stipulieren, die von bereits heute bekannten und neurologisch dokumentierten internen elektrischen Übertragungen im Gehirn verursacht würden. Auch wenn Telepathie außerhalb dessen liegt, was wir gegenwärtig wissenschaftlich nachweisen und erklären können, geht die KE -Hypothese also sehr viel weiter. Wir sind ja bereits der Meinung, daß mentale Ereignisse kausal wirksam sein können: Emotionen können physiologische Veränderungen hervorrufen und ein Gedanke einen anderen. Hingegen kann sich die KE -Hypothese nicht auf diese bekannten Phänomene berufen. Sie behauptet die kausale Wirksamkeit einer moralischen Wahrheit, die weder eine psychische noch eine physikalische Dimension hat.
Wie der in der KE -Hypothese stipulierte Vorgang genau ablaufen könnte, wissen wir nicht, und wir können uns zudem schlicht nicht vorstellen, wie man sie durch experimentelle Beobachtungen belegen könnte, während wir im Fall der Telepathie zwar auch keine Theorie über deren genaue Funktionsweise haben, aber durchaus vorstellbar ist, wie eine experimentelle Überprüfung aussehen könnte. Die KE -Hypothese läßt sich jedoch nicht wie normale Kausalaussagen überprüfen: indem wir eine kontrafaktische Frage stellen. Wir können die Wahrheit der Behauptung testen, daß jemand in Australien niest, weil Sie das gewollt haben, indem wir fragen, ob er auch geniest hätte, wenn Sie es nicht gewollt hätten. Im Fall der KE -Hypothese ist das nicht möglich – wenn wir unsere Meinung, daß Quotenregelungen unfair sind, überprüfen wollen, können wir nicht einmal als Gedankenexperiment eine alternative Situation generieren, in der alles andere gleichbliebe, Quotenregelungen aber fair sind. In der Philosophie spricht man hier von der Supervenienz moralischer Attribute, womit gemeint ist, daß wir jene nur ändern können, indem wir die gewöhnlichen Tatsachen ändern, die für eine Zuschreibung dieser Attribute sprechen. Wir können die betreffende Person natürlich fragen, ob sie Quotenregelungen immer noch für unfair halten würde,
130 wenn sich herausstellen sollte, daß sie niemanden unglücklicher machen. Wenn sie das verneint, würde diese Antwort nur bestärken, daß sie moralische Überzeugungen hat, die Verwerflichkeit und Leid miteinander verknüpfen. Zu fragen, ob jemand Quotenregelungen selbst dann für unfair halten würde, wenn sie nicht unfair wären, ist sinnlos, aber genau das müßten wir tun, um zu überprüfen, ob die Tatsache, daß Quotenregelungen unfair sind, jemanden zu der entsprechenden Überzeugung veranlaßt hat.
Da diese entscheidende kontrafaktische Frage sinnlos ist, haben wir keine Möglichkeit festzustellen, ob die vorgeschlagene Erklärung jener Meinung – daß sie von
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