Gerechtigkeit fuer Igel
oder moralische Argumente gibt, die das bestätigen. Das Hume'sche Prinzip besagt, daß eine solche Begründung mindestens ein weiteres Werturteil beinhalten muß – zum Beispiel über Rechte, Präzedenzfälle oder die Verantwortung politischer Amtsinhaber. Diese weiteren Werturteile können ebenfalls nicht schlicht wahr sein, sondern nur, wenn sie durch viele zusätzliche Argumente bestätigt werden können, die ebenfalls nicht schlicht wahr sein können, sondern selbst einer entsprechenden Rechtfertigung bedürfen. Wie kann dieser Rechtfertigungsprozeß je zu einem Ende kommen? Natürlich muß eine Person, die faktisch versucht, ein moralisches Ur
201 teil zu rechtfertigen, früher oder später einen Abschluß finden, weil sie, selbst wenn sie noch so energisch und beharrlich ist, irgendwann an die Grenzen ihrer Kraft, ihrer Zeit oder ihres Einfallsreichtums stößt. Zu diesem Zeitpunkt muß sie auf die Aussage zurückfallen, daß sie das Ganze richtig »sieht«. Unter welchen Umständen aber muß eine moralische Rechtfertigung enden, weil es nichts mehr zu sagen gibt? Das Ende kann nicht durch die Entdeckung eines absoluten Grundprinzips, das schlicht wahr ist, oder eine letztgültige Aussage darüber, wie die Dinge nun mal stehen, herbeigeführt werden. Es gibt keine Moronen und darum auch kein solches Prinzip.
Wir können lediglich folgendes sagen: Ein Konflikt endet, wenn die Positionen gewissermaßen zusammenfallen, falls das je geschieht. Hier können wir auf die von mir zuvor eingeführte Metapher zurückgreifen. Wenn es Ihnen gelingen sollte, all Ihre moralischen Überzeugungen zu einem perfekt wirksamen Filtersystem um Ihren Willen herum zu organisieren, würden diese Überzeugungen ein umfassendes und unabhängiges System von miteinander verwobenen Überzeugungen und Ideen bilden. Sie könnten jeden Teil dieses Netzwerks nur verteidigen, indem Sie auf andere Teile verweisen, bis es Ihnen irgendwann gelungen ist, alle Teile auf der Grundlage der anderen zu rechtfertigen. Zu einer Rechtfertigung Ihrer Ablehnung des Irakkriegs kann daher irgendwo im Rahmen einer außerordentlich ausgedehnten Argumentation ein Verweis auf Prinzipien hinsichtlich der Nachlässigkeit in persönlichen Handlungen, auf Vertrauenswürdigkeit als Tugend, auf Argwohn als Laster und auf weitere Prinzipien gehören, die jede dieser Überzeugungen rechtfertigen sollen, und so weiter und so weiter. Die Wahrheit einer wahren moralischen Überzeugung besteht in der Wahrheit einer unendlichen Anzahl anderer moralischer Urteile. Und sie selbst ist konstitutiv für die Wahrheit all jener. Es gibt keine Hierarchie moralischer Prinzipien, die auf axiomatischen Grundlagen beruhen; das haben wir ausgeschlossen, als wir die Moronen aus unserer Ontologie verbannt haben.
202 Als wie weitläufig sollte man sich ein solches Netzwerk von Überzeugungen vorstellen? Die Moral ist nur ein Wertebereich, nur eine Kategorie normativer Überzeugungen. Dazu kommen zum Beispiel Ansichten darüber, was schön ist oder worin ein gutes Leben besteht. Zur Moral gehört eine Reihe von Unterbereichen: Wir unterscheiden zwischen persönlicher und politischer Moral; zwischen der Moral der Pflicht, also dessen, was richtig und falsch ist, und jener der Tugenden und Laster. Wo verlaufen die Grenzen der Sphäre zulässiger Argumente dafür, daß eine Handlung moralisch richtig oder falsch ist? Oder daß jemand tugendhaft ist, ein Gegenstand schön oder auch häßlich, ein Leben gelungen oder vergeudet? Können wir anstelle eines moralischen auch ein ästhetisches Urteil als Argument dafür anführen, daß Quotenregelungen unfair sind? Können wir uns zur Rechtfertigung einer bestimmten Lebensweise auf Aussagen über die natürliche Entwicklung des Universums oder das biologische Erbe der Menschen berufen?
8 Ich sehe keinen begrifflichen oder apriorischen Grund, der dagegensprechen würde. Was als Argument für eine moralische Überzeugung dienen kann, ist eine substantielle Frage, und um sie zu beantworten, müssen wir genau überlegen, welche Verbindungen zwischen verschiedenen Wertebereichen angemessen und vorteilhaft erscheinen.
Gibt es Konflikte zwischen verschiedenen Werten?
Könnte es nicht sein, daß wir bei dem Versuch einer Integration nicht nur auf Kohärenz, sondern auch auf echte Konflikte stoßen? Lassen Sie mich an dieser Stelle ein paar Unterscheidungen treffen. Erstens müssen wir Werte von Desideraten unterscheiden, wobei erstere eine reflexive
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