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Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Titel: Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael J. Sandel
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ungerecht sei, die Reichen zu besteuern, um den Armen zu helfen, weil damit ein Grundrecht verletzt werde. Wenn man von Gates und Winfrey ohne deren Einwilligung Geld nehme, selbst wenn es einer guten Sache diene, sei dies eine Zwangsmaßnahme, die gegen ihre Freiheit verstoße, mit dem Geld zu tun, was ihnen beliebt. Jene, die sich mit diesen Gründen gegen eine Umverteilung stellen, werden oft als »Libertarianer« oder »Libertarier« bezeichnet. *
    Die Libertarianer befürworten uneingeschränkte Märkte und sind gegen eine Regulierung durch den Staat – nicht im Namen der ökonomischen Effizienz, sondern im Namen der Freiheit. Ihre zentrale Behauptung läuft darauf hinaus, dass wir alle das Recht haben, mit unserem Eigentum zu machen, was immer wir wollen, vorausgesetzt, wir achten das Recht der anderen, es ebenso zu halten.

Die Philosophie des freien Marktes
    In Anarchie, Staat, Utopia (1974) legt Robert Nozick eine philosophische Verteidigung libertarianischer Grundsätze vor, die zugleich vertraute Vorstellungen von Verteilungsgerechtigkeit in Frage stellt. Er beginnt mit der Behauptung, die Rechte des Einzelnen seien »so gewichtig und weitreichend«, dass »sie die Frage aufwerfen, was der Staat und seine Bediensteten überhaupt tun dürfen«. Nozick kommt zu dem Schluss, dass »ein Minimalstaat, der sich auf eng umgrenzte Funktionen wie den Schutz gegen Gewalt, Diebstahl, Betrug oder die Durchsetzung von Verträgen beschränkt, gerechtfertigt ist; dass jeder darüber hinaus gehende Staat Rechte des Menschen, zu gewissen Dingen nicht gezwungen zu werden, verletzt und damit ungerechtfertigt ist«. 7
    Unter allen Handlungen, zu denen niemand gezwungen werden sollte, wird vor allem die Hilfe für andere hervorgehoben. Die Reichen zu besteuern, um den Armen zu helfen, bedeute, die Reichen dazu zu zwingen. Das verletze ihr Recht, mit ihrem Eigentum zu tun, was ihnen beliebt.
    Laut Nozick ist an der wirtschaftlichen Ungleichheit an sich nichts falsch. Das bloße Wissen, dass die Leute aus der Forbes -Liste der reichsten 400 viele Milliarden besitzen, während andere ohne einen Cent dastehen, erlaubt es einem nicht, irgendwelche Schlüsse zu ziehen, wie gerecht oder ungerecht diese Konstellation sei. Nozick verwirft die Vorstellung, eine gerechte Verteilung solle strukturell zu gleichem Einkommen oder gleichem Nutzen oder gleicher Befriedigung der Grundbedürfnisse führen. Entscheidend sei, wie es zu dieser Verteilung gekommen ist.
    Nozick verwirft Theorien der Gerechtigkeit, die sich an Strukturen orientieren, zugunsten jener Theorien, die Entscheidungen anerkennen, welche die Menschen auf freien Märkten getroffen haben. Er meint, Verteilungsgerechtigkeit hänge lediglich von zwei Erfordernissen ab: der Gerechtigkeit hinsichtlich ursprünglicher Besitztümer und der Gerechtigkeit hinsichtlich ihrer Weitergabe. 8
    Das erste Kriterium fragt, ob man von Anfang an legitimer Eigentümer der Mittel war, mit denen man sein Geld gemacht hat. (Wer mit dem Verkauf gestohlener Güter ein Vermögen gemacht hat, hätte kein Recht auf die Erträge.) Das zweite fragt, ob man sein Geld entweder durch freien Austausch auf dem Markt oder durch die freiwilligen Gaben eines anderen erhalten hat. Können beide Fragen mit ja beantwortet werden, hat man Anspruch auf das, was man besitzt, und der Staat darf es einem nicht nehmen, ohne dass man damit einverstanden ist. Vorausgesetzt, niemand beginnt mit einem unzulässig erworbenen Vermögen, ist demnach jede aus einem freien Markt hervorgehende Verteilung gerecht – wie gleich oder ungleich sie auch erscheinen mag.
    Nozick räumt ein, dass nicht leicht festzustellen sei, ob der ursprüngliche Besitz, aus dem die heutigen ökonomischen Positionen hervorgegangen sind, seinerseits auf gerechte oder auf unrechtmäßige Weise erworben wurde. Wie können wir wissen, in welchem Umfang die heutige Verteilung von Einkommen und Reichtum die Folge einer illegitimen Inbesitznahme von Land oder anderem Vermögen und damit von Gewalt, Diebstahl oder Betrug ist, der vielleicht schon Generationen zurückliegt? Wenn belegt werden kann, dass Personen, die es ganz nach oben geschafft haben, Nutznießer früheren Unrechts sind – etwa der Versklavung der Afroamerikaner oder der Enteignung der amerikanischen Ureinwohner –, dann kann das laut Nozick rechtfertigen, diese Ungerechtigkeit durch Besteuerung, Reparationen oder andere Maßnahmen wiedergutzumachen. Es sei jedoch unbedingt festzuhalten, dass

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