Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)
diese Maßnahmen dazu dienten, Fehler der Vergangenheit auszugleichen, und nicht dazu, größere Gleichheit um ihrer selbst willen herzustellen.
Nozick illustriert die Verrücktheit (so sieht er das zumindest) der Umverteilung mit einem hypothetischen Beispiel anhand des Basketballers Wilt Chamberlain, dessen Salär Anfang der 70er Jahre die damals hohe Summe von 200 000 Dollar pro Saison erreichte. Seit Michael Jordan in neuerer Zeit zur Basketball-Ikone geworden ist, können wir Nozicks Beispiel anhand von Jordan auf den letzten Stand bringen; ihm bezahlte man in seinem letzten Jahr mit den Chicago Bulls 31 Millionen Dollar – mehr pro Spiel, als Chamberlain in einer ganzen Saison bekam.
Michael Jordans Geld
Um die Frage nach dem ursprünglichen Besitz ausklammern zu können, sollen wir uns gemäß Nozick vorstellen, dass wir die Ausgangsverteilung von Einkommen und Besitz auf eine beliebige Struktur festlegen, die wir für gerecht halten – wenn wir das wünschen, auch auf eine vollkommen gleiche Verteilung. Nun beginnt die Basketball-Saison. Alle, die Michael Jordan spielen sehen möchten, deponieren bei jedem Kauf einer Karte fünf Dollar in einer Schachtel. Die Erträge aus der Schachtel gehen an Jordan. (Im richtigen Leben wird Jordans Gehalt natürlich von den Eigentümern der Mannschaft bezahlt. Nozicks vereinfachende Annahme – die Fans bezahlen Jordan direkt – ist eine Möglichkeit, sich auf einen bestimmten Aspekt zu konzentrieren: den freiwilligen Tausch.)
Weil viele Menschen scharf darauf sind, Jordan spielen zu sehen, kommen eine Menge Zuschauer, und die Schachtel füllt sich. Am Ende der Saison hat Jordan 31 Millionen eingenommen, weit mehr als jeder andere Spieler. Daraus ergibt sich, dass die ursprüngliche Verteilung – die wir als gerecht ansehen – nicht länger besteht. Jordan hat mehr, andere haben weniger. Doch die neue Verteilung kam durch absolut freiwillige Entscheidungen zustande. Wer hat nun einen Grund, sich zu beschweren? Jedenfalls nicht die, die bezahlt haben, um Jordan spielen zu sehen, denn sie haben sich aus freiem Willen dazu entschieden, Karten zu kaufen. Aber auch nicht jene, die Basketball nicht mögen und zu Hause geblieben sind. Sie haben schließlich keinen Cent für Jordan ausgegeben und sind nicht schlechter dran als zuvor. Und ganz sicher nicht Jordan selbst – er hatte sich ja entschieden, für ein hübsches Einkommen Basketball zu spielen. 9
Nozick glaubt, ein solches Szenario illustriere zwei Probleme der Theorien von Verteilungsgerechtigkeit, die sich an Strukturen orientieren. Erstens bringe die Freiheit Strukturen durcheinander. Jeder, der ökonomische Ungleichheit für ungerecht hält, wird wiederholt und ständig in den freien Markt eingreifen müssen, um die Auswirkungen der von den Menschen getroffenen Entscheidungen rückgängig zu machen. Zweitens würden mit Eingriffen dieser Art – Jordan wird besteuert, um Programme zur Hilfe für Benachteiligte zu finanzieren – nicht nur die Ergebnisse freiwilliger Transaktionen umgeworfen; sie verletzen auch Jordans Rechte, weil ihm seine Einkünfte genommen werden; letztlich wird er gegen seinen Willen gezwungen, einen wohltätigen Beitrag zu leisten.
Was genau ist falsch daran, Jordans Einkünfte zu besteuern? Laut Nozick steht moralisch gesehen mehr auf dem Spiel als nur Geld. Er glaubt, hier gehe es um nichts weniger als die Freiheit des Menschen. Das begründet er so: »Die Besteuerung von Arbeitsverdiensten ist mit Zwangsarbeit gleichzusetzen.« 10 Denn wenn der Staat das Recht habe, einen gewissen Teil meiner Einkünfte zu beanspruchen, dann habe er auch das Recht, einen gewissen Teil meiner Zeit zu beanspruchen. Statt, sagen wir, 30 Prozent meines Einkommens zu nehmen, könnte er mir ebenso gut die Anweisung geben, 30 Prozent meiner Zeit für ihn zu arbeiten. Wenn aber der Staat mich zwingen kann, zu seinen Gunsten zu schuften, macht er letztlich Eigentumsrechte an mir geltend:
Nimmt man jemandem die Früchte seiner Arbeit weg, so ist das gleichbedeutend damit, dass man ihm Stunden wegnimmt und von ihm bestimmte Tätigkeiten verlangt. Wenn jemand gezwungen wird, eine Zeitlang eine bestimmte Arbeit oder unentgeltliche Arbeit zu leisten, so wird unabhängig von seinem Willen entschieden, was er tun muss und für welche Zwecke er arbeiten muss. Dadurch werden die anderen zu Teileigentümern, sie erlangen ein Eigentumsrecht über ihn. 11
Diese Argumentation bringt uns zum moralischen Knackpunkt der
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