Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)
libertarianischen Behauptung: der Idee des »Selbsteigentums« (der Vorstellung, jeder sei Besitzer seiner selbst). Wenn ich mich selbst besitze, muss ich auch Besitzer meiner Arbeit sein. (Wenn ein anderer mir befehlen könnte zu arbeiten, wäre dieser mein Herr, und ich wäre sein Sklave.) Wenn ich aber Eigentümer meiner Arbeit bin, muss ich auch das Recht auf die Früchte meiner Arbeit haben. (Wenn ein anderer ein Recht auf meine Einkünfte hätte, besäße dieser meine Arbeit und wäre somit mein Eigentümer.) Deshalb verletze es laut Nozick Michael Jordans Rechte, wenn sein Einkommen von 31 Millionen besteuert würde, um den Armen zu helfen. Denn damit werde letztlich festgestellt, dass der Staat oder die Gemeinschaft zum Teil sein Eigentümer sei.
Der Libertarianer erkennt also eine moralische Kontinuität von der Besteuerung (man nimmt mir meine Einkünfte) über die Zwangsarbeit (man nimmt meine Arbeitskraft an sich) bis hin zur Sklaverei (man bestreitet, dass ich mich selbst besitze).
Selbstverständlich beansprucht auch eine stark progressive Einkommenssteuer niemals 100 Prozent vom Einkommen irgendeines Bürgers. Demnach behauptet der Staat keineswegs, seine Steuerzahler vollständig zu besitzen. Doch Nozick besteht darauf, dass der Staat daran festhält, zumindest einen Teil von uns zu besitzen – welcher Anteil das ist, entspricht dem Teil unseres Einkommens, den wir abführen müssen, um Anliegen zu unterstützen, die über den Minimalstaat hinausgehen.
Besitzen wir uns selbst?
Als Michael Jordan 1993 das Ende seiner Karriere als Basketballer ankündigte, war die Trauer unter den Fans der Chicago Bulls groß. Später sollte er noch einmal zurückkommen und die Bulls zu drei weiteren Meisterschaften führen. Doch nehmen wir an, 1993 hätte der Stadtrat von Chicago oder auch der Kongress versucht, das Leid der Fans dadurch zu lindern, dass er beschlossen hätte, Jordan gesetzlich zu verpflichten, für ein Drittel der kommenden Saison Basketball zu spielen. Die meisten Menschen würden ein solches Gesetz als ungerecht ansehen, als Verletzung von Jordans Freiheit. Wenn aber der Kongress Jordan nicht zwingen darf, in die Basketball-Arena zurückzukehren (auch nicht für ein Drittel der Saison), mit welchem Recht zwingt er ihn dann, ein Drittel des Geldes abzuführen, das er mit dem Basketball verdient?
Wer die Umverteilung von Einkommen durch Besteuerung befürwortet, bringt gegen die libertarianische Logik verschiedene Einwände vor. Die meisten dieser Einwände können überzeugend pariert werden.
Einwand 1: Besteuerung ist nicht so schlimm wie Zwangsarbeit. Wird man besteuert, kann man immer beschließen, weniger zu arbeiten und niedrigere Steuern zu bezahlen; wer dagegen zur Arbeit gezwungen wird, kann diese Entscheidung nicht treffen.
Antwort der Libertarianer : Na schön. Aber warum sollte einen der Staat zwingen, diese Wahl zu treffen? Manche sehen sich gerne Sonnenuntergänge an, während andere Aktivitäten bevorzugen, die Geld kosten – sie gehen ins Kino, essen im Restaurant, segeln auf einer Yacht und so weiter. Warum sollten Leute, die die Muße vorziehen, geringer besteuert werden als Leute, die Aktivitäten bevorzugen, für die sie Geld ausgeben müssen?
Nehmen wir folgende Analogie: Ein Dieb bricht bei jemandem zu Hause ein und hat genug Zeit, entweder einen Flachbild-Fernseher für 1000 Dollar mitzunehmen oder die 1000 Dollar Bargeld, die in der Matratze versteckt sind. Der Betreffende hofft vielleicht, der Dieb werde den Fernseher stehlen, weil er dann selbst wählen könnte, ob er die 1000 Dollar dafür ausgeben möchte, den Apparat zu ersetzen. Hätte der Dieb das Bargeld geklaut, gäbe es diese Entscheidungsmöglichkeit nicht (vorausgesetzt, es ist zu spät, das Gerät bei voller Kostenerstattung zurückzugeben). Doch diese Präferenz, lieber den Fernseher zu verlieren (oder weniger zu arbeiten), geht am Kern des Problems vorbei; der Dieb (oder der Staat) begeht in beiden Fällen ein Übel, was immer die Opfer anstellen mögen, um ihre Verluste auszugleichen.
Einwand 2: Die Armen benötigen das Geld dringender.
Antwort der Libertarianer : Das mag sein. Doch das ist allenfalls ein Grund, die Begüterten dazu zu überreden, die Bedürftigen freiwillig zu unterstützen. Es rechtfertigt nicht, Jordan und Gates zu zwingen, etwas für die Wohlfahrt abzugeben. Von den Reichen zu stehlen, um den Armen zu geben, heißt immer noch stehlen, ob das nun Robin Hood macht oder der
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