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Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Titel: Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael J. Sandel
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Staat.
    Sehen wir uns folgende Analogie an: Nur weil ein Dialysepatient eine meiner Nieren dringender benötigt als ich (vorausgesetzt, ich selbst habe noch zwei gesunde Nieren), heißt das nicht, dass er ein Recht darauf hat. Ebenso wenig darf der Staat eine meiner Nieren konfiszieren, um dem Dialysepatienten zu helfen, wie dringend und eilig seine Bedürfnisse auch sein mögen. Warum nicht? Weil die Niere mir gehört. Die Bedürfnisse des anderen sind nicht mehr wert als mein Grundrecht, mit den mir gehörenden Dingen zu tun, was ich will.
    Einwand 3: Michael Jordan spielt nicht allein. Deshalb ist er denen etwas schuldig, die zu seinem Erfolg beitragen.
    Antwort der Libertarianer : Es ist richtig, Jordans Erfolg hängt von anderen Menschen ab. Basketball ist ein Mannschaftssport. Das Publikum hätte keine 31 Millionen bezahlt, um ihm dabei zuzusehen, wie er in einer leeren Halle Freiwürfe in den Korb feuert. Ohne Mitspieler, Betreuer, Trainer, Schiedsrichter, Sendeanstalten, Arbeiter zur Stadionwartung und so weiter hätte er nie all das Geld verdienen können.
    Doch all diesen Leuten sind ihre Dienste bereits nach dem Marktwert vergütet worden. Auch wenn sie weniger bekommen als Jordan, haben sie die Entlohnung für die von ihnen ausgeführten Arbeiten freiwillig akzeptiert. Es gibt also keinen Grund für die Annahme, Jordan schulde ihnen einen Anteil seiner Einkünfte. Und selbst wenn Jordan seinen Mitspielern und Betreuern etwas schulden sollte, ist schwer zu erkennen, wie diese Schuld es rechtfertigen könnte, seine Einkünfte zu besteuern, um Essensgutscheine für Hungernde oder öffentliche Wohnungen für Obdachlose zu finanzieren.
    Einwand 4: Jordan wird nicht wirklich ohne seine Einwilligung besteuert. Als Bürger einer Demokratie hat er schließlich eine Stimme bei der Konzeption der Steuergesetze, denen er unterworfen ist.
    Antwort der Libertarianer : Demokratische Zustimmung reicht nicht aus. Nehmen wir an, Jordan stimmte gegen das Gesetz, das aber dennoch verabschiedet wurde. Würde die Steuerbehörde trotzdem darauf bestehen, dass er bezahlt? Selbstverständlich. Man könnte sagen, weil Jordan in dieser Gesellschaft lebt, stimmt er (zumindest unausgesprochen) zu, sich an den Willen der Mehrheit zu halten und die Gesetze zu befolgen. Aber heißt das auch, dass wir der Mehrheit einfach dadurch, dass wir hier leben, einen Blankoscheck ausstellen und im Vorhinein mit allen Gesetzen einverstanden sind, auch wenn sie ungerecht sind?
    Wenn dem so ist, darf die Mehrheit die Minderheit besteuern und sogar deren Besitz und Eigentum gegen deren Willen konfiszieren. Was aber wird dann aus den Rechten des Einzelnen? Wenn demokratische Zustimmung rechtfertigt, dass jemandem das Eigentum weggenommen wird: Rechtfertigt sie dann auch, dass jemandem noch andere grundlegende Freiheiten weggenommen werden? Darf die Mehrheit mir etwa die Rede- oder die Religionsfreiheit entziehen und behaupten, ich habe bereits allem stillschweigend zugestimmt?
    Auf diese vier ersten Einwände hält der Libertarianer überzeugende Antworten bereit. Ein weiterer Einwand ist jedoch schwerer von der Hand zu weisen:
    Einwand 5: Jordan hat Glück gehabt. Er hat Glück, über das Talent zu verfügen, beim Basketball zu glänzen, und er hat das Glück, in einer Gesellschaft zu leben, die seine Fähigkeit schätzt, hoch zu springen und einen Ball durch einen Ring zu werfen. Wie hart er gearbeitet hat, um seine Fähigkeiten zu entwickeln, ist nicht so wichtig – seine natürlichen Gaben sind ebenso wenig sein Verdienst wie die Tatsache, dass er in einer Zeit lebt, in der Basketball beliebt ist und reich belohnt wird. Für all das ist er nicht selbst verantwortlich. Demnach kann man nicht sagen, er sei moralisch berechtigt, all das Geld zu behalten, das ihm seine Gaben einbringen. Die Gemeinschaft behandelt ihn nicht ungerecht, wenn sie seine Einkünfte zugunsten des Gemeinwohls besteuert.
    Antwort der Libertarianer : Der Einwand bezweifelt, dass Jordans Talente wirklich ihm gehören. Diese Argumentationsrichtung ist jedoch potentiell gefährlich. Wenn Jordan kein Recht auf die Erträge hat, die aus der Ausübung seiner Talente hervorgehen, dann gehören sie ihm nicht wirklich. Und wenn er seine Talente und Fähigkeiten nicht besitzt, dann besitzt er sich selbst auch nicht wirklich. Aber wenn Jordan sich nicht selbst besitzt, wer dann? Sind Sie sicher, dass Sie der politischen Gemeinschaft ein Eigentumsrecht an ihren Bürgern zubilligen

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