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Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Titel: Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael J. Sandel
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eigenen Körper nach Belieben zu verwenden, völlig dazu aus, dass man seine Körperteile verkaufen darf. Ob man damit Leben rettet oder Gutes tut, hat damit nichts zu tun.
    Wieso das so ist, lässt sich anhand von zwei atypischen Fällen zeigen: Nehmen wir zunächst an, der mögliche Käufer meiner Niere sei vollkommen gesund. Er bietet mir (oder wohl eher einem Bauern in einem Entwicklungsland) 8000 Dollar für eine Niere – nicht weil er dringend eine Organtransplantation benötigt, sondern weil er ein exzentrischer Künstler ist, der begüterten Kunden eine spleenige Wohnzimmerdekoration verkaufen möchte. Sollte es erlaubt sein, Organe zu diesem Zweck zu handeln? Wenn wir glauben, wir seien Eigentümer unserer selbst, dürfte es uns sehr schwerfallen, dies zu verneinen. Es kommt nicht auf den Zweck an, sondern auf das Recht, über unser Eigentum nach Belieben zu verfügen. Die meisten von uns würden vermutlich davor zurückschrecken, Körperteile auf so frivole Weise zu verwenden, und es vorziehen, wenn Organe ausschließlich verkauft werden dürften, um Leben zu retten. Jemand, der diese Ansicht vertritt, hat den Boden der libertarianischen Philosophie jedoch bereits verlassen. Er würde einräumen, dass wir kein unbegrenztes Eigentumsrecht am eigenen Körper besitzen.
    Sehen wir uns einen zweiten Fall an: In einem indischen Dorf wünscht sich ein Bauer, der nur für den Eigenbedarf produziert, nichts dringlicher, als sein Kind aufs College zu schicken. Um das Geld aufzutreiben, verkauft er eine Niere an einen begüterten Amerikaner, der eine Transplantation benötigt. Ein paar Jahre später, als das zweite Kind des Bauern gerade das College-Alter erreicht, kommt ein weiterer Käufer in das Dorf und bietet ein hübsches Sümmchen für seine zweite Niere. Sollte er auch diese verkaufen dürfen, auch wenn es seinen Tod bedeutete? Falls die moralische Argumentation zugunsten des Organhandels auf dem Begriff des Selbsteigentums beruht, muss man mit ja antworten. Es wäre verrückt, zu glauben, dass der Bauer die eine Niere besitzt, die andere jedoch nicht. Einige könnten vielleicht einwenden, dass man niemanden dazu verleiten sollte, für Geld sein Leben hinzugeben. Doch wenn wir unsere Körper und Leben besitzen, ist der Bauer absolut berechtigt, seine zweite Niere zu verkaufen, selbst wenn es ihn umbringt. (Dieses Szenario ist nicht vollkommen hypothetisch: In den 90ern wollte ein Strafgefangener seiner Tochter die zweite Niere spenden. Der Ethikrat der Klinik verweigerte das.)
    Es ist selbstverständlich möglich, nur jene Organverkäufe zu erlauben, die Leben retten und das Leben des Verkäufers nicht gefährden. Doch diese Politik beruht nicht auf dem Grundsatz des Selbsteigentums. Wenn wir wahrhaft Eigentümer unseres Körpers und Lebens sind, sollten allein wir entscheiden dürfen, ob und zu welchem Zweck wir Körperteile verkaufen und welches Risiko wir dabei auf uns nehmen.
    Beihilfe zum Suizid
    Nachdem Dr. Jack Kevorkian acht Jahre in einem Gefängnis in Michigan gesessen hatte, weil er unheilbar kranken Patienten, die sterben wollten, tödliche Drogen verabreicht hatte, kam er 2007 im Alter von 79 Jahren auf Bewährung frei. Er akzeptierte die Auflage, keinem Patienten mehr beim Suizid zu helfen.
    In den 90ern warb Dr. Kevorkian (der als »Dr. Death« bekannt wurde) öffentlich für eine gesetzliche Zulassung der Sterbehilfe und praktizierte, was er predigte – er half 130 Menschen, ihr Leben zu beenden. Erst nachdem er dem Sender CBS für die Sendung 60 Minutes ein Video übergeben hatte, auf dem zu sehen war, wie er einem an Amyotropher Lateralsklerose ( ALS ) leidenden Mann eine tödliche Injektion verabreichte, wurde er wegen Totschlags angeklagt und in einem Strafverfahren verurteilt. 13
    In Kevorkians Heimatstaat Michigan ist Beihilfe zum Suizid ebenso illegal wie in allen anderen US -Bundesstaaten, mit Ausnahme von Oregon und Washington. Viele Länder verbieten die Sterbehilfe, und nur wenige (am bekanntesten sind hier die Niederlande) erlauben sie ausdrücklich.
    Auf den ersten Blick erscheint die Argumentation zugunsten der Sterbehilfe als lehrbuchmäßige Anwendung der libertarianischen Philosophie. Für den Libertarianer sind Gesetze ungerecht, die Sterbehilfe verbieten. Denn wenn mein Leben mir gehört, sollte ich auch die Freiheit haben, es aufzugeben. Und wenn ich eine freiwillige Vereinbarung mit jemandem treffe, der mir beim Sterben hilft, hat der Staat kein Recht, sich

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