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Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Titel: Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael J. Sandel
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wollen?
    Der Begriff des Selbsteigentums ist reizvoll – besonders für die, die nach einem starken Fundament für die Rechte des Einzelnen suchen. Aus der Vorstellung, dass ich mir selbst gehöre und nicht dem Staat oder der politischen Gemeinschaft, lässt sich eine Begründung dafür ableiten, warum es falsch ist, meine Rechte für das Wohlergehen anderer zu opfern. Erinnern wir uns an unser Widerstreben, den dicken Mann von der Brücke zu stoßen, um eine Lok mit versagenden Bremsen aufzuhalten. Zögern wir nicht deshalb, weil wir anerkennen, dass sein Leben ihm gehört? Wäre der schwere Mann freiwillig in den Tod gesprungen, um die Arbeiter auf den Schienen zu retten, hätte kaum jemand etwas dagegen gehabt – schließlich ist es sein Leben. Doch uns steht es nicht zu, über sein Leben zu verfügen, nicht einmal für eine gute Sache. Das gilt auch für den unglücklichen Schiffsjungen. Hätte Parker beschlossen, sein eigenes Leben zu opfern, um die hungernden Gefährten zu retten, würden die meisten Menschen ihm das Recht dazu ohne weiteres zugestehen. Seine Kameraden hatten jedoch nicht das Recht, sich einfach an ihm zu vergreifen.
    Viele, die eine Laissez-faire-Ökonomie zurückweisen, berufen sich auf anderen Gebieten durchaus auf die Vorstellung des Selbsteigentums. Das erklärt vielleicht den fortwährenden Reiz, den libertarianische Ideen selbst auf Menschen ausüben, die den Wohlfahrtsstaat schätzen. Denken wir nur daran, welche Rolle die Idee des Selbsteigentums in Debatten über die Freiheit der Reproduktion, die Sexualmoral und das Recht auf Privatsphäre spielt. Die Regierung solle Verhütungsmittel oder Abtreibung nicht verbieten, heißt es oft, weil Frauen frei entscheiden sollten, was sie mit dem eigenen Körper machen. Ehebruch, Prostitution oder Homosexualität sollten nicht unter Strafe stehen, weil Erwachsene die Freiheit haben sollten, ihren Sexualpartner im gegenseitigen Einvernehmen selbst zu wählen. Manche sprechen sich sogar dafür aus, Nieren für Transplantationen auf dem freien Markt zu handeln – jeder sei schließlich Eigentümer seines Körpers und sollte deshalb frei entscheiden können, Teile dieses Körpers zu verkaufen. Da ich Eigner meines Lebens bin, sollte ich auch die Freiheit haben, es selbst zu beenden, wann ich will, und einen Arzt (oder sonst jemanden) hinzuziehen dürfen, der bereit ist, mir dabei zu helfen. Der Staat hat kein Recht, mich daran zu hindern, nach Belieben meinen Körper zu nutzen oder über mein Leben zu verfügen.
    Die Vorstellung, dass wir uns selbst besitzen, taucht in vielen Argumenten zugunsten der Entscheidungsfreiheit auf. Wenn ich meinen Körper, mein Leben und meine Person besitze, sollte ich damit machen können, was ich will (vorausgesetzt, ich schade keinem anderen). Doch obwohl diese Vorstellung ihren Reiz hat, schließt sie vieles ein, was nicht leicht zu akzeptieren ist.
    Wer sich von libertarianischen Grundsätzen angezogen fühlt und sehen möchte, wie weit er sie gelten lassen würde, sollte folgende Fälle erwägen:
    Nieren verkaufen
    In vielen Ländern ist es verboten, Organe zum Zweck der Transplantation zu kaufen und zu verkaufen. In den USA kann jeder eine seiner Nieren spenden, aber nicht auf dem freien Markt verkaufen. Doch manche Leute meinen, die entsprechenden Gesetze sollten geändert werden. Sie verweisen darauf, dass jedes Jahr zahllose Menschen sterben, die auf eine neue Niere warten. Wenn es einen freien Markt für Spendernieren gäbe, nähme das Angebot fraglos zu. Menschen, die Geld benötigten, sollte es freistehen, eine Niere zu verkaufen.
    Ein Argument für die Erlaubnis, Nieren zu kaufen und zu verkaufen, beruht auf der libertarianischen Vorstellung des Selbsteigentums: Wenn ich meinen Körper besitze, sollte ich Teile von ihm nach Belieben verkaufen dürfen. Nozick schreibt dazu: »Der Kern des Begriffs des Eigentums an X (…) ist das Recht, über die Verwendung von X zu entscheiden.« 12 Doch nur wenige Verfechter des Organhandels übernehmen die libertarianische Logik vollständig. Der Grund: Die meisten Befürworter eines Marktes für Nieren betonen, wie wichtig es sei, Leben zu retten, und heben die Tatsache hervor, dass die meisten Menschen, die eine ihrer Nieren spenden, mit der verbliebenen gut zurechtkommen. Wenn wir jedoch glauben, dass unser Körper und unser Leben unser Eigentum sind, spielt keine dieser beiden Erwägungen wirklich eine Rolle. Ist man Eigner seiner selbst, reicht das Recht, den

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