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Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition)

Titel: Gerechtigkeit: Wie wir das Richtige tun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael J. Sandel
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(oder nicht kaufen sollte)? Wenn ja, welche Güter sind das? Und was ist falsch daran, sie zu kaufen und zu verkaufen?
    Üblicherweise beruht die Argumentation zugunsten freier Märkte auf zwei Behauptungen – eine betrifft die Freiheit, die andere den allgemeinen Wohlstand. Die erste besteht in der libertarianischen Begründung freier Märkte, nach der man die Freiheit der Menschen nur achtet, wenn man ihnen auch den freiwilligen Tausch von Gütern gestattet; Gesetze, die in den freien Markt eingreifen, verletzen die Freiheit des Einzelnen dagegen. Die zweite besteht in der utilitaristischen Begründung von Märkten. Demnach fördern freie Märkte den Wohlstand; wenn zwei Menschen einen Handel abschließen, gewinnen beide. Solange bei einem Handel niemand zu Schaden kommt, muss der Nutzen dadurch insgesamt zunehmen.
    Marktskeptiker stellen diese Behauptungen in Frage. Sie meinen, Marktentscheidungen seien nicht immer so frei, wie sie vielleicht erschienen. Außerdem würden Güter und bestimmte Aspekte der gesellschaftlichen Praxis korrumpiert oder entwertet, wenn sie für Geld gekauft und verkauft würden. In diesem Kapitel werden wir uns ansehen, wie moralisch es ist, Menschen für zwei sehr unterschiedliche Arten von Arbeit zu bezahlen: in Kriegen zu kämpfen und Kinder auszutragen. Wenn wir durchdenken, wie richtig oder falsch die marktgemäße Bezahlung in diesen umstrittenen Fällen ist, hilft uns das, die Unterschiede zwischen den führenden Theorien der Gerechtigkeit deutlicher herauszuarbeiten.

Leihmutterverträge und Gerechtigkeit
    Wer hatte nun Recht im Fall Baby M – das Gericht der ersten Instanz, das den Vertrag durchsetzte, oder das Berufungsgericht, das ihn annullierte? Wenn wir die Frage beantworten wollen, müssen wir die moralische Kraft von Verträgen beurteilen und dazu die beiden Einwände, die gegen den Leihmuttervertrag vorgebracht wurden.
    Die Argumentation zugunsten der Einhaltung des Leihmuttervertrags baut auf den beiden Theorien der Gerechtigkeit auf, die wir bislang betrachtet haben – Libertarianismus und Utilitarismus. Die libertarianische Begründung für Verträge besagt, dass sie die Wahlfreiheit widerspiegeln; einen einvernehmlichen Vertrag zwischen zwei Erwachsenen einzuhalten heißt, ihre Freiheit zu achten. Die utilitaristische Begründung für Verträge besagt, dass sie das Gemeinwohl fördern; wenn beide Seiten einem Handel zustimmen, müssen beide einen Vorteil oder ein gewisses Glück aus der Vereinbarung ableiten – andernfalls hätten sie ihn nicht abgeschlossen. Solange also nicht gezeigt werden kann, dass der Handel den Nutzen eines anderen mindert (und zwar um mehr, als er dem einen nützt), sollten Tauschakte, die wechselseitig Vorteile bringen – das schließt auch Leihmutterverträge ein –, eingehalten werden.
    Was ist mit den Einwänden? Wie überzeugend sind sie?
    Einwand 1: Fehlerhafte Einwilligung
    Der erste Einwand – die Frage, ob Mary Beth Whiteheads Zustimmung wirklich freiwillig war – wirft eine Frage nach den Bedingungen auf, unter denen Menschen Entscheidungen treffen. Demnach können wir nur dann frei entscheiden, wenn wir nicht unangemessen unter Druck stehen (etwa, weil wir Geld benötigen) und eine ungefähre Vorstellung von den Folgen unserer Handlung haben. Was im Einzelfall als unangemessener Druck oder als »unfundierte« Einwilligung zählt, ist natürlich umstritten. Dies wurde im Fall Baby M ebenso deutlich wie in den Debatten über die Freiwilligenarmee.
    Es lohnt sich allerdings festzuhalten, dass die Debatte über die notwendigen Grundbedingungen einer konsensuell getroffenen Vereinbarung eigentlich ein Familienzwist innerhalb einer der drei Annäherungen an Gerechtigkeit ist, die wir im vorliegenden Buch betrachten – und zwar jener, die von der Freiheit ihren Ausgangspunkt nimmt. Der Libertarianismus ist, wie wir bereits gesehen haben, ein Mitglied dieser Familie. Ihm zufolge erfordert Gerechtigkeit, dass jede von den Menschen getroffene Entscheidung zu respektieren ist, vorausgesetzt, sie verletzt keine Rechte anderer. Andere »Freiheitstheorien« der Gerechtigkeit versehen die Voraussetzungen für einen Entschluss mit einigen Einschränkungen. Wie Richter Wilentz im Fall Baby M argumentieren sie, dass Entscheidungen, die unter Zwang oder uninformiert getroffen würden, nicht wirklich freiwillig seien.
    Wir werden besser gerüstet sein, diese Debatte einzuschätzen, wenn wir uns später der Philosophie von John Rawls zuwenden.

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