Gerettet von deiner Liebe
sie in ihr Zimmer zurück und entdeckte den gefalteten Zettel, der an ihrer Tür steckte. „Bitte reisen Sie nicht ab“, murmelte sie, „nicht jetzt, da ich ahne, was Ihnen so zusetzt.“
Er war kein Mann umständlicher Worte, das wusste sie, seit sie seine Abhandlung gelesen hatte. „Ich mache einen Spaziergang. Danke für letzte Nacht. Ich habe gut geschlafen und reise ab. J.“, las sie.
„Das haben Sie sich so gedacht“, sagte sie leise, zerriss die Notiz und warf die Schnipsel ins Feuer.
Sie hoffte, ihn in Spring Grove anzutreffen, aber dort war er nicht aufgetaucht.
Im Haus war es still. Noah traf sie im Salon an, der es sich vor dem Kamin bequem gemacht hatte, Neptun als Fußschemel benutzte und in ein Bilderbuch vertieft war. Sie wollte ihn nicht stören und schloss leise die Tür. Vom Butler erfuhr sie, dass Sir Joseph sich in der Bibliothek aufhielt.
„Komm herein, mein Kind. Ich habe dich erwartet“, sagte der alte Mann, nachdem sie angeklopft hatte.
Sir Joseph saß im Rollstuhl vor dem Kamin, beide geschwollenen Beine auf ein Polster gelegt, aber ohne den Drahtkorb. Sie zog sich einen Hocker heran.
„Heute fühle ich mich besser“, sagte er.
„Das freut mich“, entgegnete sie und wusste nicht, wie sie beginnen sollte.
„Er ist nicht verrückt“, sagte Sir Joseph.
Verwundert blickte sie zu ihm auf. „Ich habe dir doch noch gar nichts erzählt.“
„Nein, hast du nicht“, bestätigte Sir Joseph. „Genauso wenig wie der verschlossene Mr. Trevenen. Aber Mr. Higgins hat ein schlechtes Gewissen, weil er dir gestern nicht die Wahrheit gesagt hat.“
Sie sprang auf die Füße. „Ich wusste, dass er lügt!“
Sir Joseph nickte, und sie setzte sich wieder. „Er fand es nicht angebracht, mit dir über Lady Audley zu sprechen. Er …“
„Diese Hexe!“, platzte sie heraus.
Beschwichtigend hob er die Hand. „Susannah, seit Jahren habe ich dich nicht so lebhaft und vergnügt gesehen wie in den letzten Tagen!“ Seine Miene wurde weich. „Das gefällt mir. Du bist sieben Jahre herumgelaufen wie eine Schlafwandlerin, Kindchen. Es ist Zeit, aufzuwachen, auch wenn er ein Schurke ist.“
Sie errötete, hielt es aber für klüger, ihren Patenonkel kein zweites Mal zu unterbrechen.
„Nachdem Loisa, die ihn bewacht wie eine Löwenmutter ihr Junges, ihn ein paar Minuten allein ließ, erzählte Mr. Higgins mir, dass Mr. Trevenen auf dem Schiff von grauenvollen Angstträumen heimgesucht worden war und die Missionare sich vor ihm fürchteten, als sei er vom Teufel besessen.“
„Ja, er wird von Dämonen verfolgt, die ihn zu vernichten drohen.“
„Das habe ich befürchtet.“
Susannah überlegte, wie viel sie ihrem Patenonkel von letzter Nacht erzählen durfte. „Ich glaube nicht, dass diese Albträume etwas mit seiner Insel zu tun haben“, sagte sie schließlich. „Ich will wissen, was ihm zugestoßen ist, nachdem sein Schiff gesunken war.“
„Ich auch“, sagte Sir Joseph.
„Aber er spricht nicht darüber.“ Nach kurzem Zögern berichtete sie ausführlich über die Geschehnisse der letzten Nächte. „Auch wenn du schlecht von mir denkst“, sagte sie zum Schluss, „ich brachte es nicht über mich, ihn in seiner Verzweiflung allein zu lassen und wusste keinen anderen Ausweg, um ihn wenigstens ein bisschen zu trösten.“
„Ich verliere kein Wort darüber“,versprach Sir Joseph.„Du bist eine vernünftige Frau, wesentlich vernünftiger als deine schrulligen Eltern.“ Er lächelte. „Allerdings scheinen die beiden – falls man den Gerüchten der Dienstboten Glauben schenken darf – so etwas wie einen Jungbrunnen entdeckt zu haben.“
Lachend senkte sie den Blick auf ihre Hände. „Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie hat Beau Crusoe etwas damit zu tun. Seit seinem Auftauchen hat sich so viel verändert.“ Sie wurde wieder ernst. „Was soll ich nur tun?“
Sir Joseph lächelte zuversichtlich. „Wir werden erfahren, was wir wissen wollen.“
„Aber wenn er sich weigert zu sprechen?“
„Falls er der pflichtbewusste Offizier war, für den ich ihn halte, hat er bereits darüber gesprochen, mein Kind.“
Sie sah ihn verständnislos an.
„Entsinnst du dich an den Abschnitt, in dem er schrieb, dass sein Captain ihm das Logbuch in das Ruderboot nachgeworfen hat?“
„Ja, natürlich“, entgegnete sie aufgeregt.
Sir Joseph schnalzte mit der Zunge. „Beruhige dich, Susannah! Man könnte meinen, du bist in diesen Mann verliebt, wobei wir wissen, dass das
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