Gerettet von deiner Liebe
Schreckliches bevor. Susannah fragte sich, was mit ihm geschehen war.
Und dann wusste sie es. Während er den Salon durchquerte, heftete ihr Blick sich auf seine Krawatte. Die Schleife war anders gebunden als zuvor von ihr. Es war ein einfacher Knoten, wie ihn ein Mann in großer Eile band.
Als er näher kam, schnupperte sie und blickte sich fragend um, ob Lady Audley wieder aufgetaucht war.
Aber es war James, der nach Lady Audleys schwerem, widerwärtigem Parfum roch. Ich werde diese Enttäuschung ertragen, dachte sie und nickte ihm zu. Schließlich wusste er ja nicht, dass sie kurz mit dem Gedanken gespielt hatte, ihn als Nachfolger für ihren verstorbenen Ehemann in Betracht zu ziehen.
Die Rückfahrt nach Richmond zog sich endlos in die Länge. Ihr fiel nichts ein, was sie hätte sagen können. Ein Wort, und sie wäre in Tränen ausgebrochen. Nachdem sie die Landstraße erreicht hatten, machte James eine Bemerkung über das Wetter, worauf sie eine Antwort murmelte, die sie bereits vergessen hatte, als sie die Worte formulierte.
Chumley empfing sie an der Tür.„Mr. Trevenen, ich habe einen Imbiss auf Ihr Zimmer gestellt, falls der Hunger sie nachts übermannt“, sagte der Butler.
„Vielen Dank.“ James nickte knapp.
Susannah hatte gehofft, James würde ihr Zeit geben, sich in ihr Zimmer zurückzuziehen, aber er folgte ihr schweigend. Sie hörte, wie er die Tür zu seinem Zimmer öffnete, und warf einen Blick über die Schulter, beinahe gegen ihren Willen. Er beobachtete sie.
„Es war nicht so, wie Sie denken“, sagte er leise.
„Das trifft wohl auf alles zu, was Sie seit Ihrer Ankunft in London gesagt haben“, entgegnete sie frostig.
Er verteidigte sich nicht und verschwand in seinem Zimmer, ließ die Tür jedoch offen. Susannah betrat ihr Zimmer und schloss die Tür. Sie schleuderte die engen Seidenschuhe von sich, legte das geborgte Kleid ihrer Schwester ab und wünschte, Loisa ihr Leid und ihre Enttäuschung klagen zu können.
Welche Enttäuschung?, fragte sie sich. Mr. Trevenen war offenbar nicht imstande, den Verführungskünsten dieser vulgären Person zu widerstehen, aber dass er es im Haus seines Gastgebers mit ihr trieb, war ihr unbegreiflich. Wie lange war er weggeblieben? Zwanzig Minuten?
Diesem Wüstling weine ich keine Träne nach, schwor sie sich verbittert, während sie das Nachthemd überstreifte. Sie löschte die Nachttischlampe und schlüpfte unter die Decke. Sie liebte die Augenblicke vor dem Einschlafen, wenn alles dunkel und still war und sie ihre Gedanken schweifen lassen konnte. Die Dunkelheit war immer ihr Freund gewesen.
Aber nicht in dieser Nacht. Sie lag auf dem Rücken, starrte in die Finsternis und überlegte, wie viel Zeit sie in den letzten Tagen vergeudet hatte mit dem Malen der Gloriosa, statt an ihren Aquarellen für die Royal Society zu arbeiten.
Sie schloss die Augen und nahm sich vor, diesen grässlichen Abend zu vergessen. Gleich morgen früh wollte sie Mr. Trevenen bitten, in ein Hotel zu ziehen.
Einige Stunden später wurde sie von einem Geräusch geweckt. Sie horchte und zog die Decke höher. Da war es wieder.
Susannah setzte sich auf, während die Kälte ihr wie mit Spinnenfingern über den Rücken kroch.
Jemand redete, aber sie konnte nichts verstehen. Sie erstarrte, wünschte, ihre Tür verriegelt zu haben.
Angestrengt horchte sie. Das musste Mr. Trevenens Stimme sein. Sie kauerte reglos im Bett. Dann schwieg die Stimme. Sie hörte Atemzüge, beinahe so, als wäre jemand in ihrem Zimmer. Keuchende Atemzüge eines Menschen, der schnell gelaufen war oder eines Menschen in Todesangst an einem Ort des Grauens. An einem solchen Ort hatte sie sich befunden in jener schrecklichen Woche, als die Cholera David dahingerafft hatte und mit ihm die Hälfte der Angestellten der East India Company in Bombay.
Dann hörte sie die Stimme wieder, sie klang beinahe sachlich im Befehlston eines Offiziers der Royal Navy, der Anweisungen erteilte.
Susannah zwang sich, das Bett zu verlassen und sich durchs Zimmer zu tasten. Als sie die Tür erreichte, verstummte die Stimme, und das Keuchen setzte wieder ein. Sie griff nach dem Türknauf, zog die Hand jedoch wieder zurück, da sie sich in Erinnerung rief, wie scheußlich James nach Lady Audleys widerlichem Parfum gestunken hatte und wie schlampig seine Krawatte gebunden war. Mr. Trevenen, ich will nichts mehr mit Ihnen zu tun haben, schwor sie sich, und kehrte zum Bett zurück.
Trotzdem blieb sie am Bettrand sitzen,
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