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Gerissen: Thriller (German Edition)

Gerissen: Thriller (German Edition)

Titel: Gerissen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Abrahams
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für gut?«
    »Auf jeden Fall.«
    Er gab sie zurück. »Sie sind die Schriftstellerin.«
    Die Tage wurden kürzer. Draußen war es bereits dunkel.

Neun
    I vy öffnete die Augen, setzte sich im Messingbett auf, sah aus dem Fenster zum Wilderness Lake. Mitten im See lag eine Insel. Sie hatte sie bisher nicht weiter beachtet – an ihren beobachterischen Fähigkeiten musste sie noch stark arbeiten –, aber nun bemerkte sie, wie seltsam proportioniert sie war, wie ein unheimliches Detail auf einem deutschen Gemälde aus dem Mittelalter. Die Insel hatte eine schmale Aufstandsfläche, wenn dies das richtige Wort dafür war, erhob sich jedoch zu einem steilen, felsigen Hügel von hundert oder hundertfünfzig Metern Höhe, auf dessen Spitze ein schwarzes Kreuz stand.
    Ivy zog sich an und ging nach draußen. Jean stemmte einen Koffer durch die Passagiertür des Minivans, Rocky wartete auf dem Vordersitz.
    »Morgen«, sagte Jean. »Gut geschlafen?«
    »Großartig«, erwiderte Ivy. »Ich denke darüber nach, ob ich noch einen Tag bleibe.« Eigentlich erst in diesem Moment, während sie redete.
    »Ich werde bis zum Ende der Woche in Plattsburgh sein«, sagte Jean. »Danach schließe ich für diese Saison.«
    »Oh.«
    Rocky klopfte mit dem Schwanz auf den Sitz.
    Jean musterte sie. »Aber Sie wirken wie ein ehrlicher Mensch«, meinte sie.
    »Darin bin ich gut«, meinte Ivy.
    Jean lachte. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Können Sie daran denken, die Hütte abzuschließen, wenn Sie aufbrechen?«
    »Natürlich.«
    »Und den Schlüssel unter die Matte legen?«
    »Versprochen«, sagte Ivy. »Und hier ist das Geld für den zusätzlichen Tag.«
    »Oh, aber das –«
    Doch Ivy bestand darauf.
    Eine Viertelstunde später hatte sie den Wilderness Lake für sich allein. Sie wanderte am Ufer entlang, spürte die kühle Brise im Gesicht, tauchte die Hand ins Wasser: eiskalt. Vor den Hütten war ein Streifen Sandstrand, auf dem kieloben ein Ruderboot lag. Ivy las den Namen am Heck: CAPRICE. Sie drehte es um. Die Ruder lagen unter der Ducht oder wie man das nannte; warum war ihre Kenntnis so vieler Fachbegriffe nur so dürftig? In diesem Augenblick beschloss Ivy, jeden Tag die vollständige Bedeutung eines technischen Terminus zu lernen; vielleicht sogar zwei. Und während sie das beschloss, zerrte sie die Caprice ins Wasser, stieg ein, stieß sich ab, befestigte die Ruder in den Halterungen und ruderte los.
    Das kleine Boot glitt über den See. Rudern war toll. Über einem hohen Tannenwald am Ostufer ging die Sonne auf, und der Tag wurde farbig. Die Hütten am Wilderness Lake schrumpften in der Ferne, wurden Teil der Natur. Die Ruderblätter erzeugten sahnige Wirbel, die sich ins Wasser bohrten und verschwanden. Ivy sah das Satellitenbild vor sich: dort unten New York, oben Dannemora und direkt hier sie. Menschenansammlungen besaßen magnetische Kräfte, je größer, desto stärker. Sie spürte, dass sie sich am Rand ihrer Reichweite befand, nur noch ein oder zwei Ruderschläge, und sie entkäme ihrem Zerren und würde eine vollkommen neue Welt betreten. Dann stieß das Boot gegen die Insel und warf sie fast von der Bank.
    Ivy zog die Caprice auf das kiesige Ufer und verstaute die Ruder sorgfältig im Inneren. Sie umging einige Dornensträucher und betrat den Wald. Der von raschelndem, vertrocknetem Laub bedeckte Boden stieg sofort an. Sie fand sich auf einer Art Pfad wieder – teilweise felsig und von Baumwurzeln durchbrochen –, der sich um die Insel herum stetig höherschraubte. Die Bäume wurden kümmerlicher, und der felsige Kern der Insel stieß zur Oberfläche vor.
    Ein paarmal musste Ivy auf allen vieren weiterkriechen, und als sie einen Vorsprung direkt unterhalb der Kuppe erreichte, schnaufte und keuchte sie.
    Sie prüfte den Ausblick. Unberührte Natur, bis auf das Kreuz, das sich hinter ihr aus dem Fels der Kuppe erhob, Jean Savards Hütten und einem roten Fleck, bei dem es sich um den Saab unter den Bäumen handeln musste, und sie selbst, Ivy Seidel, Herrin des Hügels.
    Aber noch war sie nicht ganz oben. Sie kletterte über die Kante, suchte mit den Füßen Halt, wand sich am steinigen Felsen empor und erhob sich. Hier auf der Kuppe war nicht viel Platz, gerade genug für sie und das Kreuz. Vielleicht wegen der Enge und weil sie sah, wie hoch sie über dem in der Sonne funkelnden See stand, wurde Ivy ein wenig schwindelig. Sie streckte den Arm nach dem Kreuz aus.
    »Autsch.«
    Ein kurzer, beißender Schmerz: Sie hatte

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