Gerissen: Thriller (German Edition)
interessieren Sie sich dafür?«
»Das ist schwer zu erklären«, erwiderte Ivy.
Tony B. leckte seine Finger ab und senkte sie wieder in die Dose.
»Strengen Sie sich an«, forderte er sie auf.
»Nun«, begann Ivy. »Ich unterrichte Kreatives Schreiben in –«
»Wow«, sagte Tony B. »Sind Sie Schriftstellerin?«
Wieder diese Frage, noch immer kein Ja oder Nein als Antwort, es sei denn, sie lautete wirklich Nein. »Nicht so richtig«, sagte Ivy. »Aber ich unterrichte in –«
Er hob die Hand. »Was heißt, nicht so richtig?«
»Ich möchte gern eine sein«, sagte Ivy, ärgerlich, dass er sie zwang, es auszusprechen. »Aber momentan unterrichte ich Kreatives Schreiben in einem Programm für Häftlinge in Dannemora, und –«
»Sitzt da nicht Harrow?«
»Ja.«
»Aha.«
»Was soll das heißen?«
»Ich bin Ihnen weit voraus«, sagte Tony B. »Sie dachten, Sie könnten den Gold-Dust-Fall lösen und berühmt werden.«
»Berühmt werden?«
»Indem Sie einen Bestseller schreiben«, sagte Tony B. »Echte Verbrechen verkaufen sich.«
Ivy ließ einen Moment verstreichen; ihr wurde bewusst, dass ihr alles an Tony B. unsympathisch war, am meisten die Art, wie er sie ständig unterbrach. »Mein Gebiet ist die Literatur, Mr. Blass. Harrow hat eine Story geschrieben, die in meinen Augen viel Talent verrät. Ich möchte mehr über ihn erfahren.«
Tony B. hatte große wässrige Augen. Er musterte Ivy von Kopf bis Fuß. »Harrow hat eine Story geschrieben?«, fragte er.
Ivy nickte.
»Ihr Gebiet ist die Literatur?«
Sie nickte wieder.
Er hielt ihr die Konfektdose hin und klapperte einladend damit.
Sie schüttelte den Kopf.
Tony B. bediente sich, dachte die Angelegenheit durch und sagte: »Was möchten Sie wissen?«
»Als Erstes etwas über seinen Hintergrund«, erwiderte Ivy.
»Harrow? Er ist ein Mistkerl.«
Ivy wies das umgehend von sich; kein Mistkerl konnte so schreiben. »Er muss irgendeine Erziehung genossen haben«, sagte sie.
»Besuchte in West Raquette die Highschool.« Tony B. wirbelte zu seinem Bildschirm herum, setzte eine Brille auf, drückte ein paar Tasten. Auf seinem Hemdrücken saß ein Schweißfleck, auf der breiten, weichen Fläche zwischen seinen Schulterblättern. Seltsam, aber etwas an diesem Schweißfleck verriet Ivy, was sie sich schon längst hätte denken können: Er träumte davon, den Bestseller über das Gold Dust Casino selbst zu schreiben. »In meinen Unterlagen steht nichts über einen Abschluss«, sagte Tony B.
»Ist er in West Raquette aufgewachsen?«
»Ja.«
»Was ist das für ein Ort?«
»Ein Loch.«
»Was ist mit seinen Eltern und solchen Sachen?«, fragte Ivy.
»Sackgasse«, sagte Tony B. »Nichts aus seinem Vorleben führt zu dem Geld. Ich habe alles überprüft.«
»Dem Geld, das gestohlen wurde?«
»Reden wir über was anderes?«
Er hatte es nicht kapiert. »Tun wir«, sagte Ivy. »Hatte Harrow eine Tochter?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Tony B. scrollte den Bildschirm hinunter und schüttelte den Kopf.
»Aber er hatte eine Frau«, sagte Ivy.
»Ja, wahrhaftig«, sagte Tony B. »Betty Ann Price. Wollen Sie ein Bild von ihr sehen oder zumindest, wie sie vor sieben Jahren aussah?«
Ivy rückte näher. Sie konnte seinen Schweiß und sein Deodorant riechen. Auf dem Bildschirm erschien ein Foto.
»Ist sie Indianerin?«, fragte Ivy.
Tony B. schüttelte den Kopf. »Casino-Regeln – alle Kartengeber müssen indianische Kostüme tragen.«
»Hat sie im Casino gearbeitet?«
»Ein relevantes Detail«, sagte Tony B. »Es war ein Insiderjob, ob der Staatsanwalt das nun zugibt oder nicht.«
Ivy war ein wenig verwirrt. Sie betrachtete das Bild von Harrows Frau, jung und schön, mit kurzem, glattem, blondem Haar und zarten Gesichtszügen. »Ich würde gern die ganze Geschichte hören«, sagte sie. »Von Anfang bis Ende, wenn Sie Zeit dafür haben.«
Tony B. sah auf die Uhr. »Laden Sie mich zum Essen ein?«
»Sicher«, erwiderte Ivy, die dachte: Nach dem ganzen Konfekt kann er nicht mehr besonders hungrig sein.
Doch das war er. Sie gingen zu einem irischen Pub um die Ecke – grüne Markise, Kleeblätter, Leprechauns, Fettgestank. Tony B. bestellte gedämpfte Muscheln und das Ribeye, medium, dazu eine Portion Zwiebelringe. »Ale oder Lager?«, fragte er.
»Wirklich, ich –«
Er bestellte einen Krug Ale.
Ivy nahm Lauchcremesuppe.
»Prost«, sagte Tony B.
»Prost.«
Tony B. tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab, erwischte das meiste und lehnte
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